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Kunstgewerbliche Rundschau: Verkündigungsblatt des Verbandes Deutscher Kunstgewerbevereine — 2.1895

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https://doi.org/10.11588/diglit.8035#0002
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Die Bremer Rathhaushalle in ihrem derzeitigen Zustand.

inählig ausgetretcn hatte, als niit dcm graßen Antheil an dcm „über-
seeischen" lsandel nach dor neuen Welt die früheren Anschauungen sich
erwcitert hatten, — als dcr gewaltigo Zug des neuon lhandelsgeistes
die Geinüther der Bürger ergriff und zugleich von Jtalien und Flandern
her die strömende lvelle dcr Renaissancezeit auch an jene fernen Ge-
stade ihre Areise zog: da trachteten die Bürger darnach, dieser lvand-
lung der Lebens- und Uunstanschauungen in ihrcm Aleinod, dcm
Rathhaus, gerecht zu werden. Jm Beginn des >7. Iahrhunderts
wurde ciu Um- uud Lrweitcruugsbau beschlossoiu Glücklicher Weise
— allerdings sür die große Zeit selbstverständlich! — fanden sie sür
diese That dcn rechten INann an der rechten Stclle. Der bremische
lvcrkmeister Lüder vou Beuthcim wurdo der Schöpfer der zoitgemäßen
Lrneuerungen und Zusätze. In wahrhast genialer uud doch pictät-
voller lveise entlcdigte cr sich dioscr schwierigen Ausgabe. vor Allem
hatte sich das praktischo Bediirfniß horausgestellt, einen kleineu ver-
saminlungsraum für den Rath uud die Gilden zu gewinncu, im niög-
lichst engen Anschluß an die lhallc. Dies war der Ausgangspuukt
seines Idecnganges, dem wir im Acußern den herrlichen llkittelgiebel-
bau, im Innern das Schmuckkästchen, die „Güldcnkaniiner", verdauken.
Er legte näinlich dies Iiinmer in Breite der mittleren drci Feuster
halb nach innen und halb nach außen, benutzte in kühner lveise die
äußere Arkadeumauer, um darauf die Giebelwaud zu errichten, nnd
baute die innercn Aammorwände ganz aus lsolz in dic lsalle hinein.
Da die Aammer bedeutend niedrigcr sein konnte, theilte er den Giebel
in zwei Geschosse nnd legtc über der Aammcrdecke einc Altane sür
llkusikanten au, mit Zugang über eine reizende, reiche uud doch leichte
lvendeltrcppe an der eiuen kurzen Seite der Aammer. Um die lUarkt-
seite gleichmäßig abzustimmcn, ohne den nrsprünglichen Lan zu sohr
zu verdecken, klcidcte er den ganzen gothischcn Säulengang mit Brüst-
ung in die rcicheu Ruiistformen seiner Zeit, gab den acht Seitcnsenstern
gerade Sturze mit zarten Verdachungen, setzte rechts uud liuks noch
einen kleinen Seitengiebcl auf die vordermaucr, erneuerte das ganze
löauptgesims und versah es mit einer leichten Ballustradc, deren Eckcn
durch Ausbautcn und Figuren hervorgehoben wurden. Die Seiten-
sronten, die Backsteininauern, die zwischen den Fenstern sitzenden goth-
ischen Figuren »ntcr Baldachinen ließ er unberührt, ebenso wie das
mächtige Dach mit den gothischeu Gaubcn.

vcrniuthlich hat der lkleister sein lverk nicht mehr vollendet ge-
sehen; manche Theile lasseu auf eine andere, derbere löand schließen.
Dann wnrde die lllusikantenaltane später geschlosseu, au der hinteru
lsallenwand Thürvorbantcn errichtet. Linen neueu Zugang erhielt
die lsalle durch eine zierliche lvendeltreppc in der lvestecke. Die hintere
löallenwand wurde zum Theil mit Bildern nnd riesigen plattdcutschen
Inschristen bcmalt. Die kommenden Geschlechter schmückten dann den
übrig bleibenden Theil mit Velbildern, dcren Inhalt stadtgeschichtliche
Bodeutung hatte. Dic lvandtäfclniig, die sich an die löolzverkleidnng
der Güldenkammer ringsherum anschließon sollte, kam niemals zur
Ausführung, da auch nach Bremen bald die Stürine des unseligen

Arieges drangen, die alles Aunstleben fiir lange
Zeit aus Deutschland hinwegfegen sollten. Dagegen
hatte Lüder von Bentheim zwei Schmuckgegenstände
unberührt bewahrt, die auch in den nachfolgenden
Ieiten als eigenthümliche und ehrwürdige Vermächt-
nisse heilig gehalten wurden. Der eine ist noch bis auf
unsere Zeit gekommen. Ls sind dies die bedeutsam
schmückenden Schiffsmodelle, die in der lNittelachse,
mit Aronleuchtern abwechselnd, von der Decke hängen,
und den Beschauer in ihrer ernsten Stille au das
Schiffer-Aernwort, das uavi-are uccesse, vivere iirui
est nocsLse, mahnen. Sie tragen noch jctzt in sich
ein gut Stück Geheimniß der charaktervollen lvir-
kung des Raumes. Der zweite Schmuck ist leider
von einer unverständigen Ieit, zu Beginn unseres
Iahrhunderts, vernichtet. Ls war das Rathsgestühl,
das in dem östlichcn Theile (der auf der Abbildung
im lsintcrgruud liegt) noch von dem zs. Jahrhundert
in gothischen Formen aus lsolz gebildet war. Die
letzten Ueberbleibsel befinden sich jetzt im bremischen
Uunstgewerbemuseum, und zeigeu rcichen, wimperg-
artigen Aufban der Lehuen. In Zeichnnng ist ziem-
lich das ganze Gestühl crhalten.

Abgesehcn von diesen Thatcn der neucren Zeit,
sind in der Rathhaushalle noch heute die künstlerischen Abfichten des zs.
und z?. Iabrhunderts in ihrem ganzen Glanze deutlich zu erkennen.

Das Rathhaus erscheiut als ciu keruvoller Bau, an dem in schöner und
feinsinniger lveise die große deutsche Renaiffancekunst ihr Bestes gethan
hat, ohne dem gothischen Anochengerüste irgendwie Gewalt'oder Un-
recht angethan zu haben. Nicht die schlichte Einfachheit und be-
scheidene Araft bei allem spielenden Reichthum der Linzelheiten ist
das Bedeutungsvolle des Gebäudes und seines lsauptraums, sondern
vielmehr die Verschinelzungskunst, durch die die neuen Zierformen den
alten Bau nicht nur übersponnen, sondern wirklich durchflochten und
durchffossen haben, so daß jedes störende Gefühl der Seele des Be-
schauers ferngehalten bleibt. Noch heute können wir uns in der
heiter-ernsten lsalle in den Geist der großen Ieiten ungetrübt hinein-
verscnken und von der sieghaften Uunst unsrer Altoordern hingerissen
wordcn. —

Und diesem droht jetzt Gefahr der vernichtung l —

Dem letzten viertel unseres Iahrhunderts blieb es aufgespart,
das mit rücksichtsloser ksand zu planen und ins lverk zu setzen, was
sieben Gcnerationen vorher nicht gewagt haben: den bürgerlichen
Eindruck dcr lsalle zu zerstören und sie in einen „hochmodernen Re-
präsentationsraum", Fest- und Ballsaal umzuwandeln. Natürlich und
begreiflich ist es, daß jede Zeit darnach strebt und ringt, ihren Ideen
einen bleibenden Ausdruck zu verschaffen. Und was überdanert die
Ieitcn längcr als dic Baukuust? Abcr zu erwägen bleibt, ob unser
lsandelsstand uoch dasselbe Recht daraus hat, mit Stolz dcn Dichtcr-
spruch für sich reden zu lassen, daß sich seinen Gütcrn das Gute an-
schließt, und ob er nicht vielmehr hente in seiner Gesammtheit der
Lrste voran und das sprecheudste Beispiel ist des maaß-, athem- und
sinnlosen lsastens nach Glück und Lrwerb, der ausgebildeten Selbst-
sucht, des Aainszeichens unserer Zeit? Und selbst dann, wenn auch
eiue lsansastadt beweist, daß sic noch hcnte lverthe schafft, indem sie
lverthe vermittelt, so bleibt doch die schwerwiegende Frage, ob sie sich
in küustlerischer lsiusicht zu der ksöhe emporgeschwungen hat, sich keck und
stolz neben zwei vollentwickelte, glänzcnde Kunstzeitcn stellen zu dürfen.

lvas bedeutet in der Annstgeschichte unsere Ieit im Vergleich
zum ;5. und ;7. Jahrhundert? Sie kann sich dazu nicht einnial stellen,
wie das Alexandrinerthum zum Griechenthum, wie die Aunst Aon-
stantins zur Aunst Trajans, wie die Zeit des Laracci zur Zeit Rafaels,
wie Ulascaguische Ulusik zur Beethovenschen. lvenn sclbst cinen lNann
wie lvallot beim Anblick der Aunsterzeugniffe dor Renaissancezeit eine
verzagungsvolle Seolenstimmung überschleicht, in der er die Leistungen
nnserer Ieit sür stümperhafte Ansätze nnd Anfänge erklärte, dürfen
wir das vorhaben der Bremer sicherlich mit einigem Recht sür ein
großes lvagniß erklären.

Line näherc Betrachtung der Art jener geplanten „Lrgänzung"
soll dies beweisen. lvlr stehen dabei nicht auf dem Standpunkt, daß
gar nicht an dem Alten gerührt wcrden dürfe. Das, was dem Zahn
der Zeit nicht hat widerstehen können, soll erneuert, was nnzweiselhaft

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