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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 22.1872

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Lange, Emil: Charakteristik der Hauspforte, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9047#0010

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Zeitschrift

des

Kunst-Gewerbe-Vereins.

Zwcinndzwanzigster Jahrgang.

München.

Die
Handel
Petilzcilc

:t if /.

1872.

Theodor Ackermann dahier wenden.

Charakteristik der Hauspforte.

Von Emit Lange, Professor an der Kunstgewerbeschule.

(Schluß.)

Die Römer begnügten sich indeß noch nicht mit einer Gott-
heit, der sie den gesammten Schutz der Thüre übertrugen, sondern
sie schufen sich noch ein vollständiges Personal von untergeordneten
Gottheiten und Heiligen, dem die einzelnen Bestandtheile der Thüre,
als Thürpfosten, Thürsturz, Thürangeln, Schlösser, Riegel rc. ein-
zeln anvertraut wurden. So erscheint z. S3. die jungfräuliche Vesta
als die besondere Schutzheilige der Thür sch welle.

Dieser aus dein Maß göttlichen Schutzes und göttlicher Fürsorge
ersichtlichen Bedeutung entsprechend sind uns auch mancherlei Cere-
m oni en bekannt, welche die Alten an Thüren geheiligter wie pro-
faner Bauwerke begingen, und die zum Theil bei den Völkern des
Orients sich noch forterhalten haben.

Wurde ein Tempel geweiht, so begann der heilige Akt mit der
Weihung der Thürpfosten, welche der Priester unter Gebet umfaßte.

Als besondere Verehrung des Gotteshauses galt es, die Thür-
schwellen sowohl beim Ein- als Austritt zu küssen. Die Tempel-
schwelle nur barfüßig und nach vorhergegangener Fußwaschung
zu betreten, ist noch heute Vorschrift des Islam.

Ereignete sich irgend ein großes Unglück, oder wüthete die Pest
oder Hungersnoth, so war es bei den Griechen und Römern nicht
selten, daß Frauen aus den besten Ständen zu den Tempelpforten
eilten, mit aufgelösten Haaren Pfosten und Schwelle derselben be-
rieben, um durch solch' erniedrigende Buße den Zorn der Götter
von sich abzuwenden.

Die geringste Beachtung, welche der Eintretende der Pforte
jedweden Bauwerkes zu zollen hatte, bestund darin, die Schwelle
nicht mit dem linken Fuße zu betreten, was, wenn es selbst un-
absichtlich geschah, als ein schlimmes Ohmen für den Betreffen-
den galt.

Ja

die Vorsicht der Alten, jedweden Anlaß zu schlimmer Vor-
bedeutung zu vermeiden, ging so weit, daß z. B. Vitruv im 3.
Buche seines Werkes über die Baukunst es seiner Aufgabe nicht
unwürdig hielt, die Anzahl der Stufen eines Tempels oder Hauses
zu bestimnien, um sicher zu sein, daß der Eintreteude die Thür-
schwelle gewiß nur mit dem rechten Fuße erreiche. Allerdings
setzt dieß voraus, daß die Treppe auch mit einem bestimmten Fuße
angetretcn werden mußte, was nach Vorschrift stets nur mit dem
rechten Fuß geschehen durfte.

Mit diesem und ähnlichem Ceremoniel untermengten sich stets
auch abergläubische Formen, die als sichtbares Zeichen des gött-
lichen Schutzes, als Talismann gegen alle Nachstellungen der bösen
Geister und Feinde der Wohnstätte an der Hausthüre angebracht
wurden, und im Alterthum ebensogut wie auch heutzutage im Volks-
glauben auftreten.

So bestund bei den Römern fast allgemein der Aberglaube
nächtliche Erscheinungen, böse Traumbilder und Schrecken dadurch
auf immer von der Wohnstätte verscheuchen zu können, wenn man
in die Thürschwelle oder Thürpfosten einen Sargnagel einschlüge.

Ganz in ähnlicher Weise existire, sagt Donaldson, in England,
noch der Aberglaube, daß ein gegen die Thürpfosten geschlagenes
Hufeisen den Teufel verscheuche, und führt zur Bestätigung des-
selben eine Straße Londons an, in welcher keinem Beobachter die-
ser seltsame Thürschmuck entgehen könne.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem sog. Drudenfuß oder
Pentagramm, vor welchem, wie uns aus Goethe's Faust bekannt,
der Teufel zurückschreckt.

Da der Fünsstern auch als Wirthszeichcn vorkommt, wird von
einigen behauptet, es sei das Pentagramm ursprünglich Erkenn-
ungszeichen der Pythagoräer gewesen, und weil selbe sich häufig
unter ihm zum Zechen eingefunden, so sei es allmählich zum Wirth s-
hausschild und gewöhnlichem Bierzeichen verwendet worden.

Ein für uns Süddeutsche bekannteres Beispiel von abergläu-
bischen Thürschutzzeichen ist das hiernach zahlreich vertretene Caspar-
Melchior-Balthasar-Zeichen, das zwischen den Jahreszeichen einge-
schaltete 0. A. B., was auf die weiland aus dem Morgenlande
nach Betlehem gewanderten sogenannten heiligen drei Könige sich
zurückbeziehen soll. Worauf sich aber bei diesen werthen 3 Heili-
gen die ihnen zugedachte Qualification stützt, weiß der ehrwürdige
Priester des Kirchensprengels, der die drei Buchstaben dem gläu-
bigen Hausvater unter Weihrauch und Weihwaffersprengen zu
Neujahr mit Kreide an die Thüre malt, wohl selber kaum an-
zugeben.

Mit einer weit schöneren Seite der Beziehungen zwischen
Hauspforte und Hausbewohner macht uns das schon anfangs be-
rührte Moment der Pforte bekannt, wobei nämlich die Letztere als
das geistige Organ auftritt, durch welches der Hausbewohner
über Vorfälle im Inneren der Behausung dem Vorübergehenden
Notiz gibt, ihn zur Theilnahme an seinem Leid' und Freud'
beizieht.

So gab der siegreich heimgekehrte Römer von seiner Anwesen-
heit dadurch der Oeffentlichkeit Notiz, daß er die Hauspforte mit
seinen Waffen, mit Beutestücken oder militärischen Belohnungen
auszierte, ähnlich wie unsere Förster die glückliche Heimkehr von
der Jagd dem Nachbarn nicht selten dadurch wissen lassen, daß sie
das erlegte Wild an die Pfosten der Hausthüre befestigen.

Die Pforten von Tempel, Palast und Hütte erhielten Blu-
men- und Kränzeschmuck, wenn es galt, Feste oder Trauerfälle be-
kannt zu geben.

So wußte der Athener auf ebenso schöne als sinnige Art seine
Vaterfreuden der Oeffentlichkeit mitzutheilen: bei Geburt eines
Knaben wurde ein Kranz, bei Geburt eines Mädchens aber ein
Spinnrocken vor die Hausthüre gehängt.
 
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