Zeilschrist
des
Kunst-Gewerbe-Vereins.
Treiundzwanzigster Jahrgang.
München._9 & 8. 1873.
Die Zeitschrift erscheint monatlich mit wenigstens zwei Seiten Text und zwei Kunstbeilagen. Die Vereinsmitglieder erhalten die Zeitschrift unentgeltlich. Im Buch-
handel kostet dieselbe 4 fl. s. W. — 2 Thlr. 12 Sgr. der Jahrgang. Inserate geeigneten Inhaltes werden mit 6 kr. — 2 Sgr. für den Raum einer gespaltenen
Petitzeile berechnet. Ständige Inserate erhalten eine entsprechende Preisermäßigung. In- und Auswärtige wollen sich dieserhalb an die Buchhandlung von
Theodor Ackermann dahier wenden.
Ueber die Weltausstellung in Wien i. I. 1873
von Joseph v. Schmädel, Architekt.
I. Ueber die Ausstellung im Allgemeinen.
Es ist mir wohl klar, daß es bei dem Wüste von Publika-
tionen über dieses Thema beinahe überflüssig erscheinen möchte, die
Anzahl derselben noch um eine zu vermehren; aber ebenso klar
war es mir während meines Aufenthaltes auf der Arena des
friedlichen Völkerwettstreites in Wien, daß gerade in Beziehung auf
unsere Kunstindustrie niemals zu viel geschrieben werden kann,
besonders wenn der Schreiber bemüht ist, die Wahrheit, die nackte
und reine Wahrheit zu sagen. Es ist dies zwar eine schlimme
Arbeit, die selten mit großen Annehmlichkeiten verknüpft ist, aber,
wenn es auch manchmal scharf und bitter klingen mag, es ist das
einzige Mittel, klar zu Tage tretende Schäden und Schwächen dem
Wege der Besserung zuzusühren. — Pflicht eines Jeden, der solche
Schwächen klar erkennt, ist es, sie rücksichtslos aufzudecken, und
wenn möglich, auf die allenfallsige Abhülfc derselben hinzuweisen.
Dieser Pflicht zu genügen, will ich in nachstehendem Berichte ver-
suchen, mich der stillen Hoffnung hingebend, daß mir jeder Ver-
nünftige verzeihen wird, wenn die Berichterstattung nicht im Salon-
frack und mit Glacehandschuhen geschieht, sondern im schlichten aber
praktischen Gewände der Wahrheit. —
Ich hatte mir mein Programm bezüglich der Besichtigung des
Ausstellungsraumes derart eingetheilt, daß ich die ersten 3—4 Tage
der Orientirung und dem allgemeinen Eindrücke widmete, dann
speziell Deutschland und hierauf der Reihe nach die übrigen Länder
im Detail vornahm. Derart will ich auch meinen Bericht eintheilen
und ihn auf diese Weise so kurz als möglich zur Durchführung
bringen. —
Was demnach die Ausstellung in ihrer Gesammtheit betrifft,
so ist es sicher keine Uebertreibung, daß bezüglich der Quantität
des Gebotenen, bezüglich der räumlichen Dimensionen und bezüglich
der ästhetischen und luxuriösen Ausstattung der Ausstellungsbaulich,
keitcn Wien weitaus alles bisher dagewesene überboten hat. Ich
habe absichtlich diese drei Faktoren als die günstigsten zuerst berührt.
Man bekommt unwillkürlich Achtung vor unserem Geschlechte und
wird zur Bewunderung hingerissen über die Schaffenskraft des
menschlichen Geistes und über die vielseitige, unerschöpfliche Produk-
tivität der Mechanik des menschlichen Körpers.
Als ich am zweiten Tage, nachdem ich angefangen hatte, die
ersten Eindrücke geistig zu verarbeiten, Ruhe suchte und vor mir
im Scheine der abendlichen Sonne den Coloß liegen sah, dessen
Inneres Schätze der ganzen Welt geborgen hält, da schrieb ich
folgende Zeilen in meinem Tagebuch nieder:
„Der Erde Bild vom Menschengeist gemodelt,
„Ihr Sein und ihres Schaffens Allgewalt,
„Bon ihm erfaßt, von ihm in's Joch geschlagen
„Und dann vereint zu riesiger Gestalt:
„Dies Bild zu schauen, war auch ich gekommen
„Und sah's und staunend macht' ich Halt.
„Zuerst erdrückt — das eigne „Nichts" erfassend,
„Voll Schreck empfindend nur dies Nichts allein —
„Und dann erfüllt — erhoben von Begeist'rung
„Ob solcher Menschcngröße hehrem Sein —
„So zog ich durch der Länder Sammelstätte
„Bald trunken groß, bald nüchtern klein.
„Ein Taumel packte mich — den Sinn verwirrend;
„Ich wandelte dahin als wie im Traum,
„Jahrtausende, die zogen mir vorüber
„Im Fluge schnell. Ich sah's und faßt es kaum,
„Wie so Geschlechter um Geschlechter bergend,
„Das „Jetzt" sich schuf im Zeitenraum. —"
Ich war zu müde, zu abgeschlagen, um noch weiter zu schreiben
und Stift und Buch iu der Hand, habe ich damals noch lange
weitergeträumt. Es war nicht meine Absicht, ein Gedicht zu
schreiben, da ich ja doch kein Dichter bin und ich habe diese Zeilen
auch nicht in der Absicht hiehergesetzt, um allenfalls für einen solchen,
wenn auch nur für einen schlechten, gehalten zu werden, sondern
mein Zweck ist lediglich der, eine unmittelbare Empfindung dar-
zulegen, weil ich gefunden habe, daß so fixirte augenblickliche Ge-
fühle oft deutliche Streiflichter ans erhaltene Eindrücke werfen.
Diese ersten Eindrücke waren demnach bei mir ganz merkwürdige,
und besonders deshalb merkwürdig, weil sie in ihren Wirkungen so
extreme waren. Ich schwankte nämlich zwischen höchster geistiger
Erhabenheit ob menschlicher Größe im Allgemeinen und zwischen
kläglichstem moralischen Katzenjammer über das eigene „Nichts",
wie die Börse zwischen llausoa und Laisso, hin und her, bis
schließlich nach näherem Studium der deutschen Abtheilung und
nach Gewöhnung der Großartigkeit des Ganzen Laissa die Ober-
hand behielt und der moralische Katzenjammer constant wurde.
Zugleich war mit den ersten Eindrücken eine derartige Ab-
spannung und geistige Ermüdung verbunden, daß ich zwei Tage
aussetzen mußte, um nur einigermaßen wieder die nöthige Frische
der Beobachtungsgabe zu erhalten. Diese Erschöpfung ist bei der
Art und Weise der Eintheilung eine sehr begreifliche. Eher als
mir lieb war, drängte sich mir die Ueberzcugung auf, daß gerade
für vergleichende Studien, die ich mir hauptsächlich zur Aufgabe
gemacht hatte, das Arrangement so ungünstig als nur immer möglich
war. Das sogenannte „Fischgräten-System", wie es bei der Wiener
Weltausstellung in Anwendung gekommen ist, hat meiner Ansicht nach
gründlich Fiasko gemacht. Der Besucher ist bei diesem System zu
Marschübungen verurtheilt, die eben einfach nicht geleistet werden
können, besonders da ja die geistigen Kräfte ebenfalls außerordent-
lich in Anspruch genommen sind. — Die ring- und strahlenförmige
Eintheilung der Pariser Ausstellung ist entschieden im Principe die
einzig richtige, um so kollossale Massen von Objekten dem Einzelnen
faßbar zu machen. In Paris konnte man mit Leichtigkeit sowohl
das einzelne Land in seiner Gesammtproduktion, als auch die ein-
zelnen Produktionszweige für sich im länderweisen Vergleiche
studiren. Das Princip war ein sehr einfaches. Man hatte den
des
Kunst-Gewerbe-Vereins.
Treiundzwanzigster Jahrgang.
München._9 & 8. 1873.
Die Zeitschrift erscheint monatlich mit wenigstens zwei Seiten Text und zwei Kunstbeilagen. Die Vereinsmitglieder erhalten die Zeitschrift unentgeltlich. Im Buch-
handel kostet dieselbe 4 fl. s. W. — 2 Thlr. 12 Sgr. der Jahrgang. Inserate geeigneten Inhaltes werden mit 6 kr. — 2 Sgr. für den Raum einer gespaltenen
Petitzeile berechnet. Ständige Inserate erhalten eine entsprechende Preisermäßigung. In- und Auswärtige wollen sich dieserhalb an die Buchhandlung von
Theodor Ackermann dahier wenden.
Ueber die Weltausstellung in Wien i. I. 1873
von Joseph v. Schmädel, Architekt.
I. Ueber die Ausstellung im Allgemeinen.
Es ist mir wohl klar, daß es bei dem Wüste von Publika-
tionen über dieses Thema beinahe überflüssig erscheinen möchte, die
Anzahl derselben noch um eine zu vermehren; aber ebenso klar
war es mir während meines Aufenthaltes auf der Arena des
friedlichen Völkerwettstreites in Wien, daß gerade in Beziehung auf
unsere Kunstindustrie niemals zu viel geschrieben werden kann,
besonders wenn der Schreiber bemüht ist, die Wahrheit, die nackte
und reine Wahrheit zu sagen. Es ist dies zwar eine schlimme
Arbeit, die selten mit großen Annehmlichkeiten verknüpft ist, aber,
wenn es auch manchmal scharf und bitter klingen mag, es ist das
einzige Mittel, klar zu Tage tretende Schäden und Schwächen dem
Wege der Besserung zuzusühren. — Pflicht eines Jeden, der solche
Schwächen klar erkennt, ist es, sie rücksichtslos aufzudecken, und
wenn möglich, auf die allenfallsige Abhülfc derselben hinzuweisen.
Dieser Pflicht zu genügen, will ich in nachstehendem Berichte ver-
suchen, mich der stillen Hoffnung hingebend, daß mir jeder Ver-
nünftige verzeihen wird, wenn die Berichterstattung nicht im Salon-
frack und mit Glacehandschuhen geschieht, sondern im schlichten aber
praktischen Gewände der Wahrheit. —
Ich hatte mir mein Programm bezüglich der Besichtigung des
Ausstellungsraumes derart eingetheilt, daß ich die ersten 3—4 Tage
der Orientirung und dem allgemeinen Eindrücke widmete, dann
speziell Deutschland und hierauf der Reihe nach die übrigen Länder
im Detail vornahm. Derart will ich auch meinen Bericht eintheilen
und ihn auf diese Weise so kurz als möglich zur Durchführung
bringen. —
Was demnach die Ausstellung in ihrer Gesammtheit betrifft,
so ist es sicher keine Uebertreibung, daß bezüglich der Quantität
des Gebotenen, bezüglich der räumlichen Dimensionen und bezüglich
der ästhetischen und luxuriösen Ausstattung der Ausstellungsbaulich,
keitcn Wien weitaus alles bisher dagewesene überboten hat. Ich
habe absichtlich diese drei Faktoren als die günstigsten zuerst berührt.
Man bekommt unwillkürlich Achtung vor unserem Geschlechte und
wird zur Bewunderung hingerissen über die Schaffenskraft des
menschlichen Geistes und über die vielseitige, unerschöpfliche Produk-
tivität der Mechanik des menschlichen Körpers.
Als ich am zweiten Tage, nachdem ich angefangen hatte, die
ersten Eindrücke geistig zu verarbeiten, Ruhe suchte und vor mir
im Scheine der abendlichen Sonne den Coloß liegen sah, dessen
Inneres Schätze der ganzen Welt geborgen hält, da schrieb ich
folgende Zeilen in meinem Tagebuch nieder:
„Der Erde Bild vom Menschengeist gemodelt,
„Ihr Sein und ihres Schaffens Allgewalt,
„Bon ihm erfaßt, von ihm in's Joch geschlagen
„Und dann vereint zu riesiger Gestalt:
„Dies Bild zu schauen, war auch ich gekommen
„Und sah's und staunend macht' ich Halt.
„Zuerst erdrückt — das eigne „Nichts" erfassend,
„Voll Schreck empfindend nur dies Nichts allein —
„Und dann erfüllt — erhoben von Begeist'rung
„Ob solcher Menschcngröße hehrem Sein —
„So zog ich durch der Länder Sammelstätte
„Bald trunken groß, bald nüchtern klein.
„Ein Taumel packte mich — den Sinn verwirrend;
„Ich wandelte dahin als wie im Traum,
„Jahrtausende, die zogen mir vorüber
„Im Fluge schnell. Ich sah's und faßt es kaum,
„Wie so Geschlechter um Geschlechter bergend,
„Das „Jetzt" sich schuf im Zeitenraum. —"
Ich war zu müde, zu abgeschlagen, um noch weiter zu schreiben
und Stift und Buch iu der Hand, habe ich damals noch lange
weitergeträumt. Es war nicht meine Absicht, ein Gedicht zu
schreiben, da ich ja doch kein Dichter bin und ich habe diese Zeilen
auch nicht in der Absicht hiehergesetzt, um allenfalls für einen solchen,
wenn auch nur für einen schlechten, gehalten zu werden, sondern
mein Zweck ist lediglich der, eine unmittelbare Empfindung dar-
zulegen, weil ich gefunden habe, daß so fixirte augenblickliche Ge-
fühle oft deutliche Streiflichter ans erhaltene Eindrücke werfen.
Diese ersten Eindrücke waren demnach bei mir ganz merkwürdige,
und besonders deshalb merkwürdig, weil sie in ihren Wirkungen so
extreme waren. Ich schwankte nämlich zwischen höchster geistiger
Erhabenheit ob menschlicher Größe im Allgemeinen und zwischen
kläglichstem moralischen Katzenjammer über das eigene „Nichts",
wie die Börse zwischen llausoa und Laisso, hin und her, bis
schließlich nach näherem Studium der deutschen Abtheilung und
nach Gewöhnung der Großartigkeit des Ganzen Laissa die Ober-
hand behielt und der moralische Katzenjammer constant wurde.
Zugleich war mit den ersten Eindrücken eine derartige Ab-
spannung und geistige Ermüdung verbunden, daß ich zwei Tage
aussetzen mußte, um nur einigermaßen wieder die nöthige Frische
der Beobachtungsgabe zu erhalten. Diese Erschöpfung ist bei der
Art und Weise der Eintheilung eine sehr begreifliche. Eher als
mir lieb war, drängte sich mir die Ueberzcugung auf, daß gerade
für vergleichende Studien, die ich mir hauptsächlich zur Aufgabe
gemacht hatte, das Arrangement so ungünstig als nur immer möglich
war. Das sogenannte „Fischgräten-System", wie es bei der Wiener
Weltausstellung in Anwendung gekommen ist, hat meiner Ansicht nach
gründlich Fiasko gemacht. Der Besucher ist bei diesem System zu
Marschübungen verurtheilt, die eben einfach nicht geleistet werden
können, besonders da ja die geistigen Kräfte ebenfalls außerordent-
lich in Anspruch genommen sind. — Die ring- und strahlenförmige
Eintheilung der Pariser Ausstellung ist entschieden im Principe die
einzig richtige, um so kollossale Massen von Objekten dem Einzelnen
faßbar zu machen. In Paris konnte man mit Leichtigkeit sowohl
das einzelne Land in seiner Gesammtproduktion, als auch die ein-
zelnen Produktionszweige für sich im länderweisen Vergleiche
studiren. Das Princip war ein sehr einfaches. Man hatte den