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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 24.1875

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Heft 5/6
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Steinhausen, W.: Ueber die Natur in der Verzierungskunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7030#0025

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Zeilschrist

des

Kunst-Geiverbe-Vereins.

Fünfundzwanzigster Jahrgang.

München. £ $* G. 1875.

Die Zeitschrift erscheint monatlich mit wenigstens zwei Seiten Text und zwei Kunstbeilagen. Die Vereinsmitglieder erhalten-die Zeitschrift unentgeltlich. Im Buch-
handel kostet dieselbe 4 fL s. W. — 2 Thlr. 12 Sgr. der Jahrgang. Inserate geeigneten Inhaltes werden mit 6 kr. — 2 Sgr. für den Raum einer gespaltenen
Petitzeile berechnet. St and ig e Inserate erhalten eine entsprechende Preisermäßigung. In- und Auswärtige wollen sich dieserhalb an die Buchhandlung von

Theodor Ackermann dahier wenden.

Uelier die Uatur in der Nersierungskunst.

Von

Maler W. Steinhaufen.

In der ornamentalen Kunst herrscht ein wunderbarer Zu-
sammenklang zwischen Gebundensein und Freiheit. Auf's engste
gebunden (und je stilvoller sie ist desto gebundener) ist sie
an den irdischen Stoff, an das Material, an das Handwerkszeug;
doch im Ausdruck, im Wirken der Phantasie ist sie freier als
die sogenannte „große Kunst". Die augenscheinliche
Nützlichkeit verknüpft sich mit dem reinsten idealsten Vergnügen.

Der natürliche Neichthum der kindlichen Phantasie erscheint
in jener mit der naiven Intelligenz der Kindheit verbunden. Aus
dieser Verbindung erklärt sich der unübertreffliche Vorzug der
frühen Kunst der Natur- und Culturvölker — der Kunst der
Neuseeländer und Chinesen, wie der alten Griechen.

Leicht ist es, die Freiheit und Größe der Phantasie im Or-
nament zu zeigen. (Nicht umsonst haben Dürer und Rafael,
die doch soviel in ihren Bildern auszndrücken vermochten, auch
nach dem Ornament gegriffen, um Formen für einen sonst un-
aussprechlichen Inhalt zu gewinnen.)

Wie es der Phantasie des Kindes möglich ist, Bilder,
Scencn, Figuren zu sehen, wo der Erwachsene nur Holzspäne
und Grashalme sieht, so sieht auch der schaffende Künstler mehr
als ihm die Natur zeigt. Er will die Natur blos uachahmen;
aber seine Fähigkeiten, seine Hände und seine Farbentöpfe lassen
das gar nicht zu — er überlasse sich all diesem unwillkürlich,
und es wird etwas ganz anderes als das Vorbild — ein Kunst-
werk. Und gerade das Handwerk, je abhängiger es ihn vom
Werkzeug macht, wird ihn am sichersteil und unwillkürlichsten
dazu führen. Die große Malerei (Oelmalerei u. s. w.) führt
den Künstler gerade vermöge ihrer Freiheit so leicht auf einen
falschen Weg.

Ich will jetzt Beispiele der Unzulänglichkeit der sogenannten
großen Kunst, der Bildcrmalerei, geben.

Nichts ist süßer und den poetischen Sinn des Menschen be-
zaubernder, als die Fülle und der Neichthum, das Gewirre
von Schönheit, das ihm der Frühling entgegenbringt. Wohl
versteht der Maler ein diesem ähnliches Gesammtbild in einen
Goldrahmen einzusperren. Aber wer zeigt uns etwas von dem
geheimen kleinen Leben? Nur derOrnamentiker kann's! Wenn
der Maler hülflos vor dem Blätter- und Blütengewirr eines
blühenden Baumes steht, dessen silbernes Netzwerk auf dem
blauen Grunde des Himmels oder des Meeres oder auf dem hell-
sprossenden der grünen Erde sich ausspanut, so sieht dagegen
der Teppichwirker erfreut darin sein Vorbild und weiß durch
das Jneinanderschieben der Fäden das Jneinauderwirken der
Aeste nachzubildeu.

Auf dem rissigen Stamme eines Baumes — welch' kleines
Wunder! Graue Flechten und grüne Moose mit braunen !

Blüten, dazwischen goldgelber Samenstaub; buntglänzende Käfer
vergnügen sich darin! Der Maler verzweifelt, wenn er diesen
Neichthum in seiner perspectivischen Weise wiedergebeu soll. Und
wie schön kann es der Ciseleur rc. auf seine Weise.

Die Sterne, die am Himmel funkeln, die Blu-
men, die am Bache stehen, sie schmücken nicht bloß die
Welt; — das Kind, das Mädchen holen die Blumen, um sich
oder ihre Lieblinge damit zu schmücken. (Der Schmuck — die
Perlenschnur, der Kranz — war das erste Kunstwerk.) Den
Weltschmuck ahmte der bildende Mensch nach, als er noch in
seiner Kindheit war — er kannte noch keine Kunst-Grenzen! —
und die Wilden und Chinesen thun es noch heute. Der civili-
sirte Mensch der Neuzeit hat sich dieses Vorzuges entäußert.
Aus der Fülle der angesammelten Reliquien aus alter Zeit ist
ihm nicht viel anderes als heilbringend übrig geblieben als
Dinge, wie der Mäander und die Volute. Sie blieben ihm
als Knochen zurück, das Fleisch verfaulte und nur sehr mühsam
ist er im Stande, jene nothdürstig zu bekleiden.

Die Chinesen mtb Japanesen mit ihrem spielenden Kinder-
sinne sind durch ein sonderbares geschichtliches Verhängniß in
der im Reiche der Kunst allein glücklich machenden Abhän-
gigkeit von Kinderlaune und Handwerk erhalten worden. Wie
sehr sie dadurch noch mit der Natur im Zusammenhang stehen,
erhellt, um nur Eines hervorzuheben, daraus, daß sie in ihre
bemalten Gegenstände die Natur förmlich hi ne in ragen
lassen. Sie reißen die Blüten und Zweige und Blätter nicht
ab, um sie dann willkürlich auf Teller und Tischplatten zu
streuen (wie es z. B. die Engländer machen), sondern Blüten
und Blätter wachsen förmlich in die Teller und Schalen k. von
Außen hinein.

Ist das nicht ein Vorbild für uns? Es bleibt z. B. eines
der besten für die Nouleaux- und Fenstermaler. Hier ist's auch
so natürlich! Der Fensterrahmen verdeckt «so muß es aussehn)
den übrigen Theil des Bildes und die Phantasie ergänzt den
draußen stehenden Baum, von dem nur ein Zweig hineinragt,
und die Landschaft, von der nur ein Berg sichtbar ist rc.

Ein Kind versteht nur deßhalb zu spielen, weil es Phan-
tasie hat. Sein Spiel ist Phautasiespiel. Gern citire ich hier
Hippel: „zum Erfinden gehört Einfalt, kindliche Einfalt!" Er-
wachsene haben auch ihre Phautasiespielc sie ornamentiren.
Damit ist eine gewisse Neflexionslosigkeit wohl vereinbar — es
braucht nichts streng logisch zu sein. Wie im Traum können
allerlei sonst im Leben wichtige Begriffe fortfallen. — Die Cau-
salität kann wie im Märchen ihr hartes Regiment verlieren.
Die meisten Ornamente z. B. an den Krügen und Truhen, wie
sie das Volk braucht, bestehen aus solchen übrig gebliebenen
Stücken einer Gedankenkette. Eine durch Jahrhunderte fortgesetzte
handwerkliche Tradition verliert, wie es bei den Chinesen deutlich
zu sehen ist, unterwegs sehr viel — ohne daß es dem Ganzen
schadet. Manches wird unklarer, doch wird das unwillkür-
 
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