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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1879

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Heft 1/2
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Hirth, Georg: Deutsche Renaissance einst und jetzt: Vortrag, gehalten im Festsale des Bayerischen Kunstgewerbevereins von Georg Hirth
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https://doi.org/10.11588/diglit.6905#0006

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welcher zwar gleichfalls unsere Ideale aus dem deutschen Cinquecento verwirft, der aber, anstatt uns auf einen
anderen festen Boden, in dem wir wurzeln könnten, zu führen, von uns verlangt, daß wir unsere Vorbilder
aus allen Jahrhunderten und Himmelsrichtungen Zusammentragen. Der Mann, der uns diesen Wechsel aus
Tausend und einen Styl ausstellt, ist kein anderer, als der verdienstvolle Aulturhistoriker Jacob v. Falke,
einer der offiziellen Förderer des Aunstgewerbes in Oesterreich, zugleich aber durch seine vortrefflichen, nicht
warm genug zu empfehlenden Schriften ein wirklicher Bildner des guten Geschmackes. Herr v. Falke ist ein
geborener Norddeutscher, aber seine ganze Thätigkeit ist seit so langer Zeit mit den Bestrebungen Wiens
verknüpft, daß uns feine Eingenommenheit für die Leistungen der österreichischen Aunstindustrie nicht Wunder
nehmen darf. Wir wollen auch über diesen Punkt gar nicht mit ihm rechten; denn obschon wir mit gar
Vielem, was uns von Wien aus als nachahmenswertst empfohlen wird, nicht einverstanden sind, so ist doch der
Vorsprung, den unsere Nachbarn durch frühere Inangriffnahme der Reform, sowie durch langjährige, sehr
ausgiebige und verständnißvolle staatliche Unterstützung und endlich durch die Gunst eines vorübergehend sehr
kauffähigen Mäcenenthums gewonnen hat, dieser Vorsprung, sage ich, ist so groß, daß es wunderbar sein würde,
wenn die Wiener Aunstindustrie unserer süddeutschen und speziell Münchener nicht um einige Pferdelängen
voraus wäre.

Herr v. Falke hat feine Polemik gegen die Stilrichtung unseres Aunstgewerbes in mehreren angesehenen
Blättern niedergclegt; der letzte seiner Aufsätze ist aus einem Wiener Journal auch in die Wochenschrift des
Bayer. Gewerbemuseums zu Nürnberg übergegangen. Er konstatirt darin die Thatfachs, daß heute aller Orten
auf die Renaissance zurückgegriffen werde; aber in Oesterreich thue man dies nicht prinzipiell, aus besonderer
Verehrung für diesen Stil, sondern weil die Renaissance den modernen Bedürfnissen zahlreiche brauchbare Vor-
bilder und Motive liefere; wenn die österreichische Aunstindustrie vielfach namentlich italienische Art gezeigt habe,
so liege auch dies nicht in der Absicht, sondern einerseits in der Bildung und Richtung der leitenden Aünstler,
andrerseits in dem Umstande, „daß die italienische Renaissance weit mehr Originalität, weit mehr Reichthum
der Motive besitze und dem Aünstler weitaus größere Freiheit lasse, als die abgeleitete und beschränktere deutsche
Renaissance." Die Verurtheilung gipfelt in folgenden Sätzen:

„Die Sache steht noch viel schlimmer, wenn man die Formen und Vorbilder ansieht, welche sich die
Vorkämpfer für die deutsche Renaissance auserwählen. Es sind die schweren und plumpen Formen der Spät-
renaissance, die verzopften, manierirten Erfindungen Dietterlin's und ähnlicher Leute. Wenn das der deutsche
Stil der Zukunft sein soll, ist er nur sich, nicht aber der Welt gefährlich. Mit der deutschen Renaissance, mit
ihr allein, wie es heute fein soll, wirft man also die Fülle und die Freiheit von sich und wählt freiwillig
Armuth und Beschränktheit, selbst Unschönheit."

Aber damit ist das Füllhorn freundnachbarlicher Rathschläge nicht geleert, Herr v. Falke sagt uns
zwar, daß in den österreichischen Arbeiten „allerdings ein strenges und wohlgeschultes künstlerisches Verständniß,
ein feines und gebildetes Stilgefühl obgewaltet, — daher es denn auch gekommen fei, daß die österreichischen
Arbeiten auf den Ausstellungen einen so einheitlichen und geschlossenen Charakter trugen." Indessen, das
betrifft nur Oesterreich, den: der Herr Verfasser mit der Bestätigung der Thatsache doch wohl auch das Recht
zu einem „einheitlichen und geschloffenen Charakter" seiner Aunstindustrie zugesteht. Dagegen heißt es von uns
Barbaren: „Und gesetzt, das Bestreben gelänge, Deutschland schafft sich aus diese Weise einen eigenen nationalen
Stil — was ist die Folge? Die Folge ist einfach der Ausschluß vom Weltmärkte, die kommerzielle Beschränkung
auf das Vaterland, eine patriotische Befriedigung, aber ein schlechtes Geschäft! . . Wie die ganze europäische
Livilisation nur ein einziges Aleid, das ll^leid der Mode, trägt und eigentlich immer getragen hat, so kennt sie
und wird sie nur einen einzigen Geschmack kennen, der ihre Schöpfungen leitet" u. s. w.

Wir können in diesen und ähnlichen Ausführungen drei Dinge unterscheiden: s) den Vorwurf der Ein-

seitigkeit, 2) die Verurtheilung der deutschen Renaissance und 2) die Warnung vor einer nationalen Stilrichtung.
Ich will meine Erwiderung in allen drei Punkten so kurz als möglich halten.

Woher in aller Welt ist Herrn v. Falke die Wissenschaft gekommen, daß wir hier in München oder

sonstwo im neuen Reich einen Schwur auf die allein selig machende deutsche Renaissance oder gar aus die (wie

er sich übrigens nicht sehr zutreffend ausdrückt) schweren und plumpen Formen der Spätrenaissance geleistet
haben? Ich rufe Sie Alle zu Zeugen an, daß weder in den Ateliers und Werkstätten, noch in den Schulen,
noch endlich in diesem Vereine ein derartiges Programm ausgestellt oder auch nur gewollt ist. Ich rede aus-
drücklich nur von den leider auch bei uns noch ziemlich eng begrenzten kunstgewerblichen Bestrebungen. Denn
für den häuslichen Konsum der großen Massen ist ja noch immer Stil- und Geschmacklosigkeit die Regel. Nach
und nach kann und wird es auch hier besser werden, wenigstens geschieht gerade bei uns sehr viel, um dem
Publikum durch stilvolle Einrichtungen in Cafös und Wirthshäusern zu imponiren, und es ist erfreulich zu
sehen, wie selbst in den Areisen der Junggesellen der Geschmack an menschenwürdigen Umgebungen wächst.
Freilich, bis einmal die ländlichen Besucher unseres neuen Schlachthauses begriffen haben werden, daß dem
löbl. Magistrat die Erweckung ihres Schönheitsgefühles eine Herzensangelegenheit ist, wird wohl noch manches
 
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