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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1885

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Muther, Richard: Die Deutschen Volksbücher des 15. Jahrhunderts, [1]: Vortrag, gehalten im Kunstgewerbeverein am 2. Dezember 1884
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https://doi.org/10.11588/diglit.7029#0081

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Vortrag, gehalten im Uunstgewerbeverein am

g£S gibt wohl kaum einen Zeitraum in der lvelt-
2 geschichte, in welchem folgenreichere Umwandlungen
^ vor sich gegangen wären, als im 15. Jahrhundert.
Das 1 3. Jahrhundert ist die Zeit der Entdeckungen und
Erfindungen, dis Zeit, wo durch die Auffindung Amerika's
und des Seeweges nach Gstindien dem abendländischen
Handel neue Bahnen eröffnet wurden, wo durch die Er-
findung der Oelmalerei der Boden urbar gemacht wurde,
auf dem die neuere Aunst ihre höchsten Triumphe feiern
konnte, die Zeit endlich, wo in Folge der Erfindung der
Buchdruckerkunst ein neuer Abschnitt auch im Geistesleben
der Völker begann. Wie jede andere Erfindung ist auch
diejenige Gutenberg's nicht mit einem Male fertig aus dem
Aopfe ihres Erfinders hervorgegangen, im Gegentheil, der
alte Satz: Nihil in natura per saltum läßt sich auf keine
andere bester anwenden, als auf sie. Schon lange bevor
Gutenberg geboren wurde, hatte ein allerdings noch plan-
loses Bedürfniß nach Belehrung alle Alaffen des Volkes
ergriffen. Während der Bücherbefitz im Mittelalter nur
das Vorrecht der Begüterten gewesen war, zeigte sich jetzt
die Leselust auch unter den Armen, und machte den Wunsch
nach einer bequemeren, mehr fabrikmäßigen Vervielfältig-
ungsart der Bücher rege. Diesem Bedürfniß kam der Holz-
schnitt entgegen. Man hatte schon früh den gewebten Stoffen
ornamentale und figürliche Darstellungen als Ersatz für
gestickte oder eingewebte Mrnamente durch hölzerne Model
aufgedruckt. Vom Zeugdruck war man zum Papierdruck
fortgeschritten, hatte Heiligenbilder, Spielkarten, Neujahrs-
wünfche durch den Holzschnitt vervielfältigt. Und so kam
man naturgemäß auf den Gedanken, von einzelnen Heiligen-
bildern zur Darstellung ganzer Geschichten in einer Reihe
vieler Blätter überzugehen. So entstanden die Holztafel-
drucke oder Blockbücher, die aus einer Reihe von Bildern
und einem kurzen, ebenfalls aus dem Ganzen geschnittenen
Texte bestanden. Aber der Stoffkreis dieser Holztafeldrucke
war noch sehr eng begrenzt und der Text bei ihnen von
zu untergeordneter Bedeutung. Das eigentliche Problem
war erst gelöst, als Gutenberg zur Erfindung des beweg-
lichen Letterndruckes gelangt war.

Und so hat kaum jemals eine Erfindung eine schnellere
Verbreitung und dankbarere Aufnahme gefunden als die-
jenige des Mainzer Buchdruckers. In den Jahren 1^51—57
machte Gutenberg in Mainz feine ersten Druckversuche.
Schon im Jahre l-s60 steht Mainz nicht mehr allein da,
wir finden in Bamberg den Briefdrucker Albrecht Pfister.
1^66 kommt die neue Aunst nach Aöln, s^68 nach Augs-
burg und Straßburg, 1-170 nach Nürnberg, 1^71 nach
Speyer, f-17-1 nach Basel, 1-175 nach Lübeck, und als das
Jahrhundert zu Ende geht, ist sie nicht nur in ganz Deutsch-
land, sondern auch überall im Auslande verbreitet. Es
gibt 910 Buchdruckereibesitzer in Europa, gegen 5 Mil-
lionen Bücher sind in 50 Jahren gedruckt. Es ging wie
ein Frühlingswehen durch das deutsche Volk. Alle heiligen
Bücher, die bisher fast ausschließliches Eigenthum der Alöster

2. Dezember von Dr. Richard Muther.

gewesen waren, alle lieben Dichtungen und Erzählungen,
die man bisher nur vom Hörensagen kannte, waren mit
einem Male dem Volke erschlossen; es konnte die Welt-
geschichte lesen, an den wunderbaren Beschreibungen ferner
Länder seine Phantasie ergötzen und in naturgeschichtlichen
Büchern lernen. Vom freudigsten Schaffensdrangs war die
Gelehrtenwelt, vom tiefsten Bildungsbedürfnisse das Volk
beseelt.*)

Das Hauptwerk, welches die Erfindung der Buch-
druckerkunst dem deutschen Volke zugänglich machte, war
das Buch der Bücher, die Bibel. Bekanntlich hat nicht
Luther zum ersten Rial die Bibel ins Deutsche übersetzt, die
deutsche Bibel war vielmehr bereits im 15. Jahrhundert
in 1-1 Ausgaben, 12 hochdeutschen und 2 niederdeutschen,
verbreitet. Freilich waren die heiligen Bücher nur aus der
Vulgata übersetzt, erst Luther war es, der auf den Grund-
text zurückging; immerhin war schon die Bibelübersetzung
des 15. Jahrhunderts, die wahrscheinlich von einem Straß-
burger Gelehrten herrührte, von verhältnißmäßig großem
Werthe. Neben der Bibel hatte man die Evangelienbücher
oder plenarien, welche für jeden Sonntag des Jahres
Bibeltext und predigt enthielten, sowie die zahlreichen Werke,
welche das Leben Jesu und der heiligen im Anschluß an
die Legenda aurea vorführten.

Dazu kam eine große Anzahl moralischer Schriften.
Mbenan steht unter ihnen der „Spiegel menschlicher Be-
haltniß", ein Buch, das schon vor der Erfindung der eigent-
lichen Buchdruckerkunst oft mit Holztafeln gedruckt wor-
den war und die Erlösungsgeschichte der Menschheit durch
Christus schildert sowie die Vorstufen der Erlösung im
alten Testamente nachzuweisen sucht. Da haben wir ferner
die Alten oder den goldenen Thron", worin 2-1 Greise
einer jugendlichen Aänigin, jeder über einen besonderen
Gegenstand, den Menschen, die Reue, das Gewissen, den
guten und bösen Willen, den züchtigen Wandel, die Gottes-
minne, die göttliche Gnade, den christlichen Glauben vor-
tragen. Wir haben den von Jakob von Teramo verfaßten
„Belial", worin die Erlösung des Menschengeschlechtes durch
Christus in Form eines Gerichtshandels geschildert wird,
welchen der Heiland gegen den Satan führt und wobei der
Prophet Jermias Sachwalter des Teufels, der Philosoph
Aristoteles Advokat Christi ist. Eine dritte sehr frühe Er-
zählung schildert die „Verzückungen des Tondalus". Ein
Ritter, der in seiner Jugend flott gelebt hat, wird während
eines schwelgerischen Gastmahles ohnmächtig. Während
der «Ohnmacht führt ein Engel feine Seele in der Hölle
und im Fimmel umher und zeigt ihm dis Plagen, welche
die Mörder, Wucherer, Diebe und Geizigen in der Hölle
erleiden, während die Frommen in den Gefilden der Se-
ligen ruhigen Friedens sich erfreuen. Nachdem er die Seele
herumgeführt, entläßt er sie mit den Worten: „Nun liebe

*) Heber den Stoffkreis der Jncunabeln ist hauptsächlich kfarleß
„Die Literatur in den ersten 50 Jahren nach der Erfindung der Buch-
druckerkunst" und Goerres „die deutschen Volksbücher" zu vergleichen.
 
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