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Dengler, Georg [Hrsg.]
Kirchenschmuck: Sammlung von Vorlagen für kirchliche Stickereien, Holz- & Metallarbeiten & Glasmalereien — N.F. 4.1888/​95

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1. Heft
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Erklärung der Tafeln
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Nachrichten über Stickereien und Stickerinen im Mittelalter
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https://doi.org/10.11588/diglit.26639#0005
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Erklürmrg der Tafelrr. — Nachrichten über «Ltrckercien und Stickerirren irn Mittelalter.

Nr. i!9.

die Anfertigung dieser ^tapslia piLtu'g wie er sie nennt, förmlich zu
untersagen sich veranlaßt sah. Auch jetzt noch bildet die Teppich-
stickerei in den Frauenklöstern des Orients eine Hauptbeschäftigung;
ist ja doch diese Kunst unter den armen christlichen Landbewohnern
der heutigen Türkei seit Jahrhunderten heimisch, und weben dort in
den Dörfern die bulgarischen und serbischen Fraueg mit dem denkbar
primitivsten Webstuhle (drei noch mit Rinde versehene Baumäste in-
einander gegabelt), ohne gezeichnete oder andere Muster vor sich zu
haben, aus freier Phantasie sehr schöne, immer neue, stylvolle Muster.
Schreiber dieses erhielt vor einigen Jahren von den bulgarischen
Nonnen eines Klosters bei Adrianopel einen solchen gewirkten Teppich
zum Geschenke, dessen Zeichnung von den Nonnen erfunden und wozu
die Wolle von selbst gezüchteten Schafen gewonnen, gesponnen, ge-
färbt und gewoben wurde.

Mit dem Beginne der Kreuzzüge kamen die orientalischen Teppiche
durch italienische Kauffahrer häuftger nach Europa, die von den da-
maligen Schriftstellern als tuxstiao ^lsxauäi-ivg.s, oder struAula
trLN8murivu und im späteren Mittelalter mit dem Gesammtnamen
tapis cks Lru^rus bezeichnet wurden. Nach den Kreuzzügen begann
das Abendland selbstständige Teppichwirkereien zu eröffnen, besonders
nach der Vertreibung der Mauren aus Spanien. Vorzüglich war
es die Stadt Arras in Nordfrankreich, welche diesen Jndustriezweig

in großartiger Weise betrieb, deren Erzeugnisse damals den Namen
opus pc>I;yinita,rium (buntfarbige Arbeit) führten. Auch heute noch
heißen deßwegen gewirkte.Gobelins in Jtalien ,,4ru2/i".

Zwar sinden sich noch in unseren Kirchen und Museen änßerst
wenige Exemplare von Fußteppichen aus jener Zeit, was sich durch
die langdauernde Abnützung und Zerstörbarkeit der Wolle leicht er-
klären läßt. Doch haben die fleißigen Maler des Mittelalters auf
ihren Holztafelbildern uns eine große Anzahl mit der mühsamsten
Genauigkeit kopirte Teppichmuster hinterlassen, wovon jede Bilder-
gallerie Zeugniß gibt. Der verdienstvolle Direktor des Kunstgewerbe-
museums in Berlin, vr. Lessing, hat eine stattliche Auswahl solcher
gemalter Teppiche, zum Gebrauche der Wiederverwendung in Stickerei
und Weberei (bei Wasmuth in Berlin) publizirt, auf welches prächtige
Werk wir unsere Leser besonders aufmerksam machen und dessen An-
schasfung in Paramenten - Vereinen, Klöstern rc. bestens empfehlen
möchten. Die in demselben gegebenen Teppichmuster sind so vor-
tresflich in der Farbe wiedergegeben und so genau in die kleinen,
dem Papiere eingedruckten Quadratchen eingetheilt, daß man fast
natürliche Teppiche vor sich zu sehen glaubt, und eine genaue
Kopirung für die Stickerin sehr leicht möglich ist.

Der in unserer vorliegenden Tafel gezeichnete Teppich ist zur
Ausführung in Wolle, entweder in Kreuz-, oder noch besser in lckuuts-

! lisss- oder Gobelinstich geeignet, und müßte zu diesem Zwecke vorher
die ganze Zeichnung in milden, ja nicht schreienden Farben von einem
geschickten Maler iu tsmpsru auf die Leimvand aufgetragen, oder von
einer geübten Stickerin, falls die Ausführung in Kreuzstich geschehen
soll, mit einfachem Fadenvorstiche (über der unterlegten Zeichnung in
Naturgröße) auf dem Stramin vorbereitet werden. Als Sujet ist die
uralte spmbolische Darstellung der nach der Wasserquelle dürstenden
Hirschen, Sinnbilder der nach Gott sich sehnenden Seelen, mit der
Beischrift: „8isut osrvus ckssiäsrut aä kontss uguarum: itu ässi-
äsrut unimg. msu uä ts Osus.^ (Ps. 41.) ,,Wie der Hirsch sich
nach den Wasserquellen sehnet, so sehnet sich meine Seele nach Dir,
o Gott."

Selbstverständlich muß strenge vermieden werden, aus Teppichen
heilige Gegenstände, Kreuze, Kelche, Hostien, Namen Jesu, heilige
Personen w. anzubringen, da aus dicsen doch nicht mit Füßen getreten
werden darf; es sind daher nur spmbolische Darstellungen aus der
Thier- und Pflanzenwelt zur Versinnbildlichung übernatürlicher Be-
griffe statthaft.

Anmerkung. Bei etwaigem Bedarfsfalle ist der Herausgeber dieser Zeit-
schrift gerne erbötig, die Zeichnungcn zn dicsem Teppiche in Natnrgröpe gegen billiges
Honorar siir den Zeichner zu besorgen.

Jn dem Gelegenheitsschriftchen „Der S. Karls-Teppich" von
Or. Fr. Bock finden sich über diesen Gegenstand viele interessante
Notizen, die wir, da das kleine Broschürchen in wenigen Händen
mehr sein dürfte, im Auszuge nachstehend unseren Lesern mittheilen.

Muratori berichtet, daß noch zu seiner Zeit im Dom zu Vercelli
ein großes Madonnenbild, in Seide gestickt, aufbewahrt wurde, das
von der Hand der hl. Helena kunstreich angefertigt worden war. Mit
welchen kunstvoll gestickten Bildwerkcn die Päpste des siebenten und
achten Jahrhunderts die Behänge der Baldachin-Altäre und Kirchen
durch Nadelmalerei schmücken ließen, darüber berichtet der alte Biograph
der Päpste, Anastasius Bibliothekarius an vielen Stellen seines Werkes
Ausführliches. Um von italienischen auf gleichzeitige angelsächsische
Kunststickereien zu religiösen Zwecken überzugehen, sei hier darauf hin-
gewiesen, daß schon im siebenten Jahrhunderte die angelsächsische
Königin Ethelred, als ausgezeichnete Stickerin, die Kunsterzeugnisse
ihrer Nadel vorzugsweise dem Altare widmete. So liest man in der
Lebensbeschreibung der eben gedachten Königin, die als Abtissin dem
Kloster von Ely vorstand, daß sie ldem hl. Cuthbert, damals noch
nicht Bischof, eine Stola und ein Manipel auf das prachtvollste ge-

l stickt habe, die sich durch Gold- und Perlenstickcreien auszeichneten.
Zur selben Zeit hatte auch eine Hofdame der Königin Mathilde von
Schottland einen solchen Ruf in Anfertigung jeglicher Art von Kunst-
stickereien erlangt, daß sie unter allen vornehmen Frauen und Jung-
frauen Englands bei weitem als die geübteste Stickerin in hohem An-
sehen stand. Ferner berichtet uns ein alter, englischer Schriftsteller,
Wilhelm von Malmesburg, daß im siebenten Jahrhunderte der nach-
malige Bischof Dunstan, als er noch jünger war, die Zeichnung zu
einem festtäglichen Meßgewande eigenhändig entworfen, welchen eigen-
händigen Entwurf eine hochstehende Dame in Goldfäden aufs kunst-
vollste ausgeführt habe. Dieses reich gewirkte Meßgewand des
hl. Dunstan sah man noch in späterer Zeit im Schatze der Abtei von
Westminster. Auch waren die vier Königstöchter von Eduard dem
Aelteren unter den angelsächsischen Frauen berühmt wsgen der Kunst-
fertigkeit, mit welcher dieselben jegliche Art der Nadelmalerei und
Stickerei ausführten. Deßgleichen fertigte auch die Königin Aelfflead,
Gemahlin des eben gedachten Königs, für den Bischof Friethestan von
Winchester eine prachtvolle, gestickte Stola an, die man heute noch als
angelsächsisches Kunstwerk in der Kirche zu Durham hoch in Ehren

hält. Jm zehnten Jahrhunderte ragte unter den angelsächsischen Kunst-
stickerinen Oedelfled, Wittwe des Herzogs Brithnod von Northumber-
land, besonders hervor, welche der Kirche von Elr> das Werk ihrer
Hände zum Geschenke machte, nämlich einen großen Teppich, auf
welchem sie die Heldenthaten ihres herzoglichen Gemahles durch die
Kunstfertigkeit ihrer Nadel wiedergegeben und verherrlicht hatte. Jn
welchem Umfange die Kunst der Figur- und Bildstickcreien vornehm-
lich zu kirchlichen Zweckcn von vornehmen Frauen und Jungfraucn
in den angelsächsischen Königreichen bereits vor dem'zehnten Jahr-
hunderte geübt und gepflegt wurde, dafür dient unter den vielen
anderen Belegen, die wir an dieser Stelle beibringen könnten, auch
die geschichtliche Thatsache, daß nämlich König Witlaf von Mercien
der Abtei Croyland jenen kostbaren, Hestickten Purpurmantel zum Ge-
schenke machte, den er bei seiner Krönung getragen hatte. Diesem
Geschenke fttgte cr cincn anderen Krönungsornat, ein Vclum, hinzu,
in welchem in großem Figurenreichthum die Einnahme von Troja ge-
stickt war. Zuglcich verordnete cr, daß mit dieser letzten kostbaren
Stickerei die Kirche an seinem Geburtstage geschmückt werden sollte.
Jm elften Jahrhunderte begegnet man, wenn man die geschichtliche
 
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