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Dengler, Georg [Hrsg.]
Kirchenschmuck: Sammlung von Vorlagen für kirchliche Stickereien, Holz- & Metallarbeiten & Glasmalereien — N.F. 4.1888/​95

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2. Heft
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Hähne auf Thürmen und Kirchen
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Literarische Mitteilungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26639#0023
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zeicheu der Diener der Religion, besonders der Prediger, wclche als un-
ermüdliche Arbeiter des Evangeliums mit beharrlicheiu Eifer an dem
Heilc ihrer Brüder arbeiten, ihneu die Klippeu zeigeu, welche sie zu ver-
meiden haben, sie au das zukünftige Lebeu eriuneru und durch ihr be-
redtes uud starkes Wort muthvoll die Feinde der Religion niederschlagen
müsseu.

St. Eucherius, der um das Jahr 454 starb, spricht in seiner Ab-
handlung über geistliche Sacheu: „Unter dem Hahue versteht man die
heiligeu Prediger, weil sie iu Mitte der Finsteruisse des gegenwärtigen
Lebens sich daniit beschäftigen, durch ihre Predigt, wie durch eineu heiligeu
Gesaug das Licht der Ewigkeit anzukündeu. Sie sagen: ,Die Nacht
verschwindet, der Tag bricht an rc.' "

Da alsv der Hahn seit den ersten Jahrhunderten gewählt war, um
Wachsamkeit und Uuerschrockenheit des Christen uud der eifrigen Prediger
zu bezeichuen, so dürften wir, auch wenn wir kein anderes positives
Zeugniß aufbringen könnten, kaum zweifeln, daß man, wenn man selben
auf die Kirche setzte, an eine dieser Bedeutungen erinnern wollte. Aber
die Schriftsteller deS Mittelalters drücken sich hierüber aufs bestimniteste
aus. Wir wollen einige anführeu.

Hvnorius der Einsiedler, Scholast der Kirche vou Autun, der gegen
1120 schrieb, sagt in seiner liturgischeu Abhandlung, betitelt ,,Oe

Literartsche Mittheiluugen.

animuL", daß durch den Hahn auf dem Thurme der Priester ermahnt
wird, zur Matutiu die zu rufen, die schlafen.

Reinerus, Mönch aus dcm Ordcn dcr Predigerbrüder, auö dem
13. Jahrhunderte, tadelt die Armen von Lyon, daß sie in der heiligcn
Schrift, sowie in den Gebeten und Gebräuchen der Kirche kcinen
mystischen Sinn annähmen. So bemerkt er als Beispiel einer derartigen
Erkläruug, welche mau zulasscu uiuß, daß der Hahn auf dem Thnrme
den Kirchenlehrer bedeute.

Kcin Schriststeller jcdoch hat mehr Andeutungen über den mystischen
Sinn des Kirchhahnes, als Wilh. Durand, Bischvf von Mende, gestorben
1296. Jn seinem ,,U,utiouuie ckivinorum osllciorum" drückt er sich
Buch 1, Kap. I, Nr. 22 also aus:

„Der Hahn auf der Kirche bezeichnet die Prediger. Dieses Thier,
das stets wacht, theilt durch Krähen die Stunden tiefer Nächte. Er weckt
die, die schlafen, er kündigt die Rückkehr dcs Tages an. Zuvor abcr
muntert er sich selbst znin Krähen auf, indem er mit den Flügeln die
Seiten schlägt. Jeder Umstand hat seine Erkläriing. Die Nacht ist das
Jahrhundert, in dessen Mitte wir lebcn. Die, die schlafen, sind die
Kinder dieser Nacht, versunken in den Sündenschlaf. Jn dem Hahu
nniß man die Prediger erkeiinen, die kräftig reden und Diejenigen, die
schlafen, aufsordern, die Werke der Finsterniß abzulegen, indem sie ihnen

zurufen: Wehe denen, die in Schlaf versunken sind; wachet auf, die
ihr schlafet! Diese Diener des Wortes besiugen den kommeuden Tag,
indem sie das Gericht Gottes und die ewige Herrlichkeit verkünden. Bevor
sie den Andcren die christlichen Tugenden predigen, sv treiben sie selbst
den Schlaf der Sünde zurück, indem sie ihrcn Leib züchtigen, wie dieß
der Apostel that, der ausrief: ,Jch züchtige nieinen Leib und bringe ihn
unter die Knechtschaft.' Die Prediger cndlich dreheu sich wie der Hahu
gegeu den Wind, wenn sie, iudem sie gegen die Rebellen aufstehen und
sie zurückweiscn, tapseren Widerstand leisteu, damit mau ihuen nicht den
Vorwurf mache beim Nahen des Wolfes."

Hierbei blieb der Autor des „Rationale" nicht stehen, er gibt auch
noch die Erklärung der Stange, welche den Hahn trägt und sogar der
Stellung der Stange oben auf dem Gebäude.

„Die eiscrne Stange bezeichnet die gerade richtige Rede des Dieners
des Evangeliums, der uie vou menschlicheu Gründen sich darf leiten
lassen, sondern stets sprechen soll, wie Gott es ihm eingibt, da geschrieben
steht: Spricht einer, so soll es sich zeigcn, daß Gott durch seiuen
Mund spricht.' Was die Stellung dieser Eiseustaiige auf dem Kreuze
oder auf dem Giebel der Kirche anlangt, so zeigt sie an, daß die Worte
der heiligen Schrift erfüllt und vollendet sind. Deßwegen rief Christus
am Kreuze: ,Alles ist vollbracht!'"

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Aus dem rühmlichst bekannten Verlage von Fr. Lipperheide
iu Berlin sind im verflossenen Jahre drei Werkchen über verschiedene
Arten der Stickknnst erschienen, die wir auch den uur im Fache der
kirchlichen Kunststickerei Beschäftigten bestens empfehlen köiinen, uämlich:

1. „Die dekorative Kunststickerei;" I. Aufnäharbeit, Textbuch mit
Atlas in Querfolio; 1. Lief., Prefs 15 Mark;

2. „Musterbücher für weibliche Handarbeit;" die Webe-Arbeit mit
Hand-Apparat; 1. Lies., Preis 1 Mark 20 Pfg.;

3. „Musterblätter für künstlerische Handarbeiteu;" 1. Sammlung,
mit 12 Blatt Farbendrucken in gr. 8ch 3 Mark.

Das unter Nr. 1 bezeichnete Werk über Aufnäharbeit (Appli-
kationstechnik) wird für kirchliche Zwecke jedenfalls am meisten bieten.
Ein Hauptwerth dieser Publikatiou besteht in der schöueu farbigen Dar-
stellung der Tafeln. Mehp als bei allen auderen Zweigen der Hand-
arbeit übt in der dekorativen Kunststickerei die Farbeuwirkung cinen ent-


scheidenden Einfluß aus. Farbige Vorlagen zu besitzen, besonders solchc
in natürlicher Größe, wird deßhalb vielen Stickerinen sehr erwünscht
sein. Jede Lieferung cnthält zwei iu Farbendruck uud zwei iu Holz-
schnitt ausgeführte Tafeln, und einen reich mit Jllustrationen in Holz-
schnitt ausgestatteten Text von einein bis zwei Bogen, außerdem zwei
Beilagen mit Mustervorzeichnungen in natürlicher Größe. Die Ein-
leitung zu Heft 1 bringt eine detaillirte Angabe über das zur Ausnäh-
arbeit benöthigte Material — Gewebe, Plüsche, Gold- und Seidenschnüre
zum Einfassen, Stickseide u. dgl.

Die farbigen Tafeln bieten Reproduktionen alter Stickereien, auf
deren naturgetreue Wiedcrgabe die größte Sorgfalt verwendet wurde.
Für Herstellung von Antipendien, Wandteppichen u. dgl., besonders im
Renaissance-Style, sind diese Muster gut verwcndbar.

Nr. 2, „Webe-Arbeit", briugt eine nralte Techuik, die des Webens
mit einsachstem Apparate, der leicht zu handhaben ist. Die beigefügten
Abbildungen sind so klar und dic Erklärung so leicht verständlich, daß

jede Stickerin schnell mit dieser interessanten Technik vertraut sein wird.
Für Altarteppiche könute diese Arbeit bei richtiger Farben- und Muster-
wahl sehr verwendbar seiu; als Vorlagen eignen sich hierzu vorzüglich
die in neuerer Zeit immer mehr aus den östlichen Ländern Europa'ö
importirten Teppiche, die auf Dörfern und in den armseligsten Hüttcn
mit dem primitivsteil Webstuhle — die Webebäume habeu meistens noch
die Rinde an sich — von den Frauen der Serben, Bulgaren und Süd-
Ungarn nach immer neuen Zusammenstellungen geometrischer Motive in
stylvollster Weise hergestellt werden.

Nr. 3, „Musterblätter", überrascht durch die geradezu verblüffeude
naturgetreue Wiedergabe der einzelnen Stickmuster aus älterer Zeit, be-
sonders die Flachstickerei auf Tafel 5, chinesische Plattstichstickcrei auf
Tafel 11, dann die Goldstickerei auf Tasel 3. Das Heft enthält auch
manche hübsche Muster aus Rumänien, Serbien und Smyrna für
Stramintechnik.
 
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