Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Dengler, Georg [Hrsg.]
Kirchenschmuck: Sammlung von Vorlagen für kirchliche Stickereien, Holz- & Metallarbeiten & Glasmalereien — N.F. 4.1888/​95

DOI Heft:
3. Heft
DOI Artikel:
Verschiedenes
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26639#0041
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 21.

Verschiedenes.


9


und Ganzm nnr der kirchlichm Kunst, der Wieder-
belebung der Kunst des Mittelalters gewidmet war, !
daß Keiner wie er es verstand, die Gothik mit
Meisterhand auszuüben und zu lehren. Die von
ihm gebautm Kirchen, die Hunderte von Altären
und kirchlichen Gerälhschafteu, die sein sprudeludes
Talent in genialster Weise entwarf nnd ausführm
ließ, die von ihm gegründete Architektenschule, dereu
Werke den Geist ihres Meisters in allen Läudern
fortpflanzen, sind ebenso viele Dmksteine an den
großen Künstler und Sohn der Kirche. Die „Augs-
burger Postzeitung" entwirft in einer ihrer Beilagcn
ein treffliches Bild von dem Verewigten, welches
wir unseren Lesern hiermit zum Andenken an diesen
Heros der Gothik mittheilen möchten.

Er hatte seine vollgemessmen fechs Schuh.
Seine Gestalt war von schöner Regelmäßigkeit,
aufrecht, hochragend, gebieterisch, in dm Hüften
schlank, in den Schultern breit und über der Brust
kraftvoll und hochgewölbt. Auf dem starken Nucken
saß der Kopf Leonardo da Vinci's oder jener
Galilei's. Ein mächtiger Bart umfloß ihn und
gabelte sich vvrn in zwei eismgraue Zinken. Anf
dem knochigen Antlitze lag der Wiederschein einer
Wclt von Gedanken und einer Odyssee von Thaten.
Das Merkwnrdigste in dem Gesichte waren die
Augen. Ties unter der freien aufsteigmden, wie
von tausend Zdeen zerschossenen Stirne sprühte und
blitzte es. Diese Sterne erleuchteten mit ihrem
hellblaum Lichte das ganze Wesen des Mannes.
Man sah durch diese Augen bis in die letzte Falte
einer hohen, ernsten, reinen und schalkhaften Seele.
Wo gibt es ein Wort, das die Art dieses Mannes
ganz bezeichnete? Einen Namen, der alles das,
waS man an ihm stückweise bewunderte, in cinem
einzigen Begriffe zusammenfaßte? Friedrich Schmidt
gehörte zu jenen Wenigen, die mit ihrer Würde
über allen Würden standm. Wenn nian seine
Titel aussprach, fnhlte man, daß man ihm das
Beste vorenthielt: die innige Schätzung alles dessm,
was in ihm menschlich war. Aber wenn man in
seiner Nähe war, wenn man den Druck seiner
Hand fühlte, wenn man dcn Klang seiner Stimme
hörte und das Walten dieses hohen nnd redlichen
Geistes wahrnahm, wußte man sofort, wie man
ihn zu rufen hatte: „Geliebter Meister!" —
geliebt, weil er mit einer unerhörten Gewalt
selbst die widerspenstigstm Herzen an sich zu ketten

s

verstand, und Meister, weil er nicht bloS in
dem, was seine erhabene Kunst verlangte, sondern
auch in allen anderen Dingen dieses LebenS, die
man erfährt, erspürt. erlernt nnd ersinnt, den Er-
leuchtetsten und Befreitesten gleichstand.

Friedrich Schmidt war am 22. Oktober 1825
zu Frickenhofen in Württemberg gcboren. Er
studirte an der polytechnischen Schule zu Stnttgart
unter Manch nnd Breymann und erlernte die
Steinmetzkunst. 1842 wandte er sich nach Köln,
wo er als Steimnetzgehilfe in die Dombanhütte
trat. 1848 wurde er Mcister und 1856 bestand
er das Staatsexamen als Baumeister in Berlin.
Bei der Konkurrenz zur Wiener Votivkirche erhielt
er den dritten und bei der zum Berliner Rath-
haufe den ersten Preis. 1857 wurde er als Pro-
fessor der Architektur an die Mailänder Akadeniie
berufen, wv ihm bald neben seiner Lehrthätigkeit
die Restaurirung von San Ambrogio überlragen
wurde, die aber durch den Krieg ins Stocken gerieth.
Seit 1859 wirkte er als Professor an der Akademie
der bildenden Künste zu Wien. Er baute die
Lazaristenkirche daselbst, die Pfarrkirchen zu Fünf- -
haus und zu Brigittmau in Wien, die gothische
Kirche in Graz, sowie viele andere kleinere Kirchen
in Tyrol, am Rhein, im Fnrstenthume Licchten-
stein rc. 1862 wurde er Baumeister des Stephans-
Domes. Seine anderen Bauwerke außer Rathhaus
und Sühnhaus sind das akademische Gynmasium
und die Restaurirung des Stephansdomes. Nach
der Einweihung des RathhaufeS, die am 12. Sep-
tember 1883 erfolgte, war ihm der Freiherrntitel
verliehen worden.

Schmidt war unstreitig einer der bedeutendsten
Männer Wiens, als Mensch, Cbarakter, Künstler,
Architekt und Redner. Das Haus, in welchem er
starb, das „Sühnehaus", wird von vielen seiner
Berufsgenossen als die herrlichste seiner Schöpfungen
bezeichnet; es wird von ihnen höher gestellt, als
selbst das Wiener Stadthaus. Von Weitem her
kommen die Architektcn, um das Sühnehaus zu
sehen nnd zu studiren. Er hat an den Bau des
Hauses, welches auf Geheiß des Kaisers Franz
Zoseph auf der Stelle des niedergebramiten Ring-
theaters errichtet wnrde, seine ganze Begeisterung,
eine wahrhaft innige Hingebnng verwendct. Schmidt
war auch der Erste, welcher das Hans bezog, gegen
welches in der Wiener Bevölkernng, der grauen-
 
Annotationen