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Hans Tietze Der Kampf um Alt-Wien
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der Natur, gleichfalls ein Zeichen ihrer Entstehungs-
zeit, die an Bäumen und Rasenflächen ihre Freude
zu haben begann. Nun sind die Bäume zu stattlicher
Größe herangewachsen, die Sträucher sind in den
Jahrzehnten seit der Auflassung zu dichten Hecken
geworden, die altersgrauen Male beginnen sich im
Grün der Umgebung zu verlieren. Sie beginnen
zu zerbröckeln, die Umrißlinien werden lockerer,
Zeichen leisen Verfalles schaffen ein malerisches
Ganzes, das auf uns Moderne, deren Kunst eine
vornehmlich malerische ist, einen starken Zauber
ausübt.
Unsere Freude an den malerischen Wirkungen
leichten Verfalles ist ein Zeichen, wie sehr die Grund-
sätze der Denkmalpflege von der Richtung der jeweilig
modernenKunst abhängig sind und daß jene eigentlich
eine Reflexerscheinung dieser ist. Beide haben als
gemeinschaftlichen Zweck die Befriedigung unserer
spezifisch modernen ästhetischen Bedürfnisse, die
eine durch Schaffung neuer Werte, die andere durch
Schätzung und Verwertung alter Kulturen, die der
unseren in irgendeiner Weise etwas zu bieten ver-
mögen.
Mai 1908.
Hans Tietze
Hans Tietze Der Kampf um Alt-Wien
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der Natur, gleichfalls ein Zeichen ihrer Entstehungs-
zeit, die an Bäumen und Rasenflächen ihre Freude
zu haben begann. Nun sind die Bäume zu stattlicher
Größe herangewachsen, die Sträucher sind in den
Jahrzehnten seit der Auflassung zu dichten Hecken
geworden, die altersgrauen Male beginnen sich im
Grün der Umgebung zu verlieren. Sie beginnen
zu zerbröckeln, die Umrißlinien werden lockerer,
Zeichen leisen Verfalles schaffen ein malerisches
Ganzes, das auf uns Moderne, deren Kunst eine
vornehmlich malerische ist, einen starken Zauber
ausübt.
Unsere Freude an den malerischen Wirkungen
leichten Verfalles ist ein Zeichen, wie sehr die Grund-
sätze der Denkmalpflege von der Richtung der jeweilig
modernenKunst abhängig sind und daß jene eigentlich
eine Reflexerscheinung dieser ist. Beide haben als
gemeinschaftlichen Zweck die Befriedigung unserer
spezifisch modernen ästhetischen Bedürfnisse, die
eine durch Schaffung neuer Werte, die andere durch
Schätzung und Verwertung alter Kulturen, die der
unseren in irgendeiner Weise etwas zu bieten ver-
mögen.
Mai 1908.
Hans Tietze