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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0169

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dem ein Rückblick auf die sechzehn Jahre seines
Bestehens zu Gebote steht, dass die gegenwärtige
hervorragende Bedeutung des neuen englischen
Kunstklubs, sowohl als ausstellende Körperschaft,
wie als blühende Schule, eine ganz naturgemässe
Entwicklung ist.

Nach dem Austritt von Legros wurde die Pro-
fessur der Slade-Schule in London einem der
Gründer des neuen englischen Kunstklubs, Fred
Brown, verliehen. Dieser nahm Philip Wilson
Steer, gleichfalls eines der ältesten Mitglieder,
zum Mitarbeiter als Lehrer an der Malschule und
die beiden andern Lehrer ebenfalls aus den Reihen
des neuen englischen Kunstklubs. Dieser Fall ist
aussergewöhnlich in der Geschichte ausstellender
Körperschaften und kann nur mit der königlichen
Akademie und ihren Schulen verglichen werden.
Zweifellos strömt aber mehr Talent der Slade-
Schule als der Akademie zu.

Der deutsche Kunstjünger, der zum erstenmal
nach London kommt, verlangt eifrig die Bilder
der „Secession" zu sehen und hört enttäuscht,
dass solche Institution überhaupt nicht existiert.
Zweifellos haben eine grosse Anzahl solcher Bilder
in den Ausstellungen des neuen englischen Kunst-
klubs ihren Platz gefunden, die, auf dem Kon-
tinent, unbedingt in den verschiedenen Secessions-
Ausstellungen figuriert hätten. Und doch war
niemals der neue englische Kunstklub eine Se-
cession im deutschen Sinn. Allzukühn wäre
es, eine bestimmte Vermutung darüber auszu-
sprechen, welchen Einnuss auf den Klub seine so
enge Verbindung mit der Slade-Schule in Zukunft
haben wird; es genügt, zu konstatieren, dass die
unmittelbare Wirkung auf seine Ausstellungen
sich in der glänzenden Kollektion zeigt, durch
welche die Slade-Schüler vertreten sind.

Das Hauptinteresse der drei letzten Ausstel-
lungen des neuen englischen Kunstklubs konzen-
trierte sich auf die Bilder seiner drei glänzendsten
Schüler John, Orpen und Mc Evoy. Johns Porträt
der Signorina Cerutti, welches soeben ausgestellt
ist, rechtfertigt sehr gut den Ruf der Slade-Schule,
wenigstens in den Augen derjenigen, welche eine

Schule für das Talent ihrer Schüler verantwortlich
machen. Unabhängigkeit ohne Eigensinn — grosse
Sicherheit der Zeichnung — kein unangenehmes
Vordrängen der Routine — das sind die Eigen-
schaften, die Johns Bilder auszeichnen und der
Schule zur höchsten Ehre sereichen.

Steer's Landschaft, „das Thal der Severn"
zeigt wieder einmal in überwältigender Weise den
Mut und die Wahrheit seiner Beobachtungsgabe
und Darstellungskraft. Der Beschauerblickt hinab
in ein weites Thal, dessen Farben verblassen,
gegenüber dem grellen Glanz der Sommersonne,
die durch den Wolkensaum eines dahinstürmenden
Gewitters bricht. Starke Naturgewalten sind
gegeneinander losgelassen und Ungestüm und
Zartheit sind so glücklich vermischt, wie mancher
Sommertag sie mit sich bringt. Die Landschaft,
die im Vordergrund schon siegreich von der
Sonne beleuchtet wird, obgleich noch der Sturm
darin tobt, verschwimmt in der Ferne in einem
weichen Dunst. Zerrissene, schwarze, unregel-
mässige Wolken bedecken noch die Sonne, ein
märchenhaftes Licht überstrahlt den welligen
Rand einer Wolkenschicht, die sich am fernen
Horizont verliert. Von den jetzt lebenden
englischen Malern vermag es nur Steer, die Natur
in ihren seltenen und grossartigen Stimmungen
wiederzugeben. Er malt nicht Alltagswetter,
ebenso wenig sucht er aber durch Übertreibung
oder Bizarres Effekt zu machen. Er wählt einfach
den interessantesten Tag, eine Naturerscheinung,
wie wir sie vielleicht nur einmal im Jahr be-
obachtet haben, die wir aber in unserer Erinnerung
als die herrlichste Offenbarung bewahren.

Wie ich schon erwähnte, hat sich der
englische Kunstklub unabhängig von der

Wirkung

der Einzelnen gezeigt, aber ich

neue
Mit-
kann
getrost behaupten, dass man sich das sechzehn-
jährige Bestehen des Klubs nicht ohne Steers
Schaffen denken kann und dass die Zuirehörisrkeir
des grössten Künstlers der jetzt lebenden Gene-
ration in England von der Begründung an nicht
ohne die tiefste Einwirkung auf die Blüte der Ver-
einigung gewesen ist. Oswald Sickert.

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