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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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Heilbut, Emil: Die Impressionistenausstellung der Wiener Secession
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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0179

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liehen Sehens. Claretie und seine Nachfolger
haben gewähnt, die impressionistischen Künst-
ler wären Menschen, die die Gegenstände eilig
wie aus den Fenstern eines hinsausenden Schnell-
zugs erblickten — tatsächlich malen sie in einer
Weise, welche man sicherlich schon vor Zeiten
angetroffen hätte, wenn der Strom der Malerei
nicht durch ablenkende Einflüsse aufge-
halten worden wäre. Die Künstler der Im-
pressionistengruppe sind einfach Maler der
Erscheinung, die das Sehen weiter ausgebildet
haben. Sie waren die Fortentwickler unseres
Sehens. Sie sind — wie es wenigstens uns
jetzt scheinen muss, da wir mit und nach
ihnen leben — seine Vollender.

Die Darlegung, wie überraschend ihre Art
des Sehens zuerst auf ihre Zeitgenossen gewirkt
hat, wird durch viele Zeugnisse übermittelt,
am deutlichsten aber vielleicht dadurch, dass
Degas erzählt, Manet wäre im Publikum so
bekannt gewesen wie Garibaldi. Das ist etwas
Ungeheures, dass ein Künstler so bekannt
werden konnte wie ein Volksmann. Es be-
weist, dass er das Publikum im höchsten
Masse frappiert hat. Allerdings kam hinzu,
dass in den Jahren, welche Manets erstem
Auftreten voraufgingen, das Ausstellungswesen
eine grosse Wandlung erfahren hatte. Die
alten „Salons" waren in beschränkten Räum-
lichkeiten abgehalten worden — auch in
langen Pausen — und nur von einem kleinen
Kreise von Künstlern, Liebhabern, Männern der
Feder und Mitgliedern der Gesellschaft besucht
gewesen. Vom Jahr 1863 an waren die „Sa-
lons" hingegen jährlich und fanden in jenem
grossen Industriepalast statt, der für die Welt-
ausstellung 1855 in den Champs Elyse'es er-
richtet worden war. Eine Riesenmenge wälzte
sich in die Säle. Die unmittelbare Empfin-
dung des Volks für die Kunst konnte dadurch
um so stärkeren Ausdruck erhalten. Wären
die ersten BilderManets in dem abgeschlossenen
kleinen Raum der „salle carree" des Louvre
noch gezeigt worden, so würden sie nur das
feine Gift der Invective bei des Künstlers Ka-
meraden und intimen Gegnern erzeugt haben.
Da sie in den Industriepalast kamen, weckten
sie Injurien. Die Beleidigungen hagcltcn auf

den Künstler nieder. In raschester Zeit wurde
er berüchtigt-berühmt. Wenn er auf die
Strasse ging, sahen sich die Leute um, denn
sie kannten ihn wieder, weil die Witzblätter
Karikaturen auf ihn gebracht hatten. Er floh
nach Spanien — teilweise aus Liebe zuVelaz-
quez, teilweise auch, um vor den lästigen
Folgen des Berüchtigtseins sich zurückziehn
zu können. Als er an der Grenzstation von
Hendaya auf dem Rückweg von den Pyrenäen
seinen Pass vorwies, holte der visitierende
Zollbeamte seine Frau und seine Kinder, da-
mit diese ebenfalls den Maler sähen, dessen
Ruf als der eines künstlerischen Ungeheuers
auch bis zu ihnen gedrungen war. Der Be-
amte war überrascht, in Manet nicht einen
wilden Mann, sondern einen civilisierten Eu-
ropäer zu finden.

Bei der wiener Bevölkerung wecken die
Bilder von Manet, Monet, Renoir, Sisley und
Pissarro, so weit sie sie zum ersten Male in
der Impressionisten-Ausstellung sieht, viel-
leicht ähnliche Empfindungen.

Man mag in Wien möglichenfalls denken:
diese Bilder sehen ja ganz manierlich aus.

Die Ausstellung ist wunderbar angeordnet,
die schönste Verteilung der Gemälde hat statt-
gefunden, ohne Ueberfüllung — die Im-
pressionisten gewähren einen Anblick wie
bisher noch nirgends auf irgend einer Aus-
stellung in Europa. Die nicht abwägbarc
Tätigkeit jenes grössten Ausgleichers, der die
Zeit heisst, hat um diese Bilder schon ihren
Schleier gewoben, so dass, wie es scheint,
jetzt kaum noch begrifFen wird, weshalb man
ehemals über sie die Hände rang. Eine revo-
lutionierende Wirkung scheinen diese Bilder
in Wien nicht mehr auszuüben. Ob sie den
Wienern ohne Rest aufgehen, entzieht sich
freilich meiner Beurteilung; wer mit Bildern
Manets, Monets, Renoirs, Sisleys, Pissaros ge-
sättigt wurde — für den ist es nicht angängig,
aus seinem Nicht-Erstaunen auch auf das
Nicht-Ucberraschtsein der Anderen Schlüsse
zu ziehn. Dennoch habe auch ich in Wien
eine Wahrnehmung über den Einfluss der Zeit
auf unsere Anschauung von Bildern machen
können.

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