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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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Delacroix, Eugène: Aus dem Tagebuche, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0262

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abschwächt, um die verschiedenen Partieen mattes Orange im Licht, das lebhafteste Violett

zusammenzuschmelzen. in der Schattengrenze und goldige Reflexe in

den Schatten, die dem Boden zugewendet
waren. Das Orange und das Violett herrschten

Veber die Meisterwerke. — Ohne Meister- abwechselnd vor oder vermischten sich. Der

werk giebt es keinen grossen Künstler. Alle goldige Ton hatte etwas grünliches. Das

die, welche in ihrem Leben nur ein einziges Fleisch hat seine wahre Farbe nur in freier

geschaffen haben, sind aber deswegen noch Luft und besonders in der Sonne; ein Mensch,

nicht gross. Die Meisterwerke dieser Art sind der den Kopf zum Fenster herausbeugt, ist

für gewöhnlich die Frucht der Jugend. Eine ein ganz anderer als im Zimmer. Daher die

gewisse frühreife Kraft, eine gewisse Wärme, Thorheit der Atelierstudien, die darauf hin-

die ebenso sehr im Blute wie im Geiste liegt, arbeiten, diese Farbe zu fälschen,

hat manchmal ein merkwürdig schönes Werk „
entstehen lassen.

Um aber unter die Grossen zu zählen, muss Die wahre Grösse lässt keine Excentricität

man das Vertrauen, das man durch seine ersten zu. Rubens wird von seinem Genie mit-

Leistungen erweckt hat, durch die Werke des gerissen und giebt sich Uebertreibungen hin,

reifen Alters, des Alters der wahren Kraft ver- die im Sinne seiner Idee und immer in der

dienen. Und das ist stets der Fall, wenn ein Natur begründet sind,

wirklich starkes Talent vorhanden ist. Sogenannte geniale Männer, wie wir sie

Es giebt sehr talentvolle Menschen, die nie- heutzutage sehen, die affektiert und lächerlich
mals ein Meisterwerk geschaffen haben. Sie sind, bei denen sich Geschmacklosigkeit und
machten fast stets Werke, die im Augenblick Anmassung den Rang streitig machen, deren
ihres Erscheinens, aus Gründen der Mode und Idee stets von Wolken verdunkelt ist, und die
weil sie im richtigen Augenblicke kamen, für sogar in ihre Lebensweise diese Verschroben-
Meisterwerke angesehen wurden, während heit hineintragen, die sie für ein Zeichen von
wirkliche Meisterwerke der Feinheit und Tiefe Talent halten, solche Männer sind mir Ge-
unbemerkt in der Masse verschwanden oder spenster von Schriftstellern, Malern und
wegen ihrer scheinbaren Seltsamkeit oder weil Musikern. Weder Racine noch Mozart noch
sie den Ideen des Augenblickes fern lagen, Michelangelo konnten in dieser Weise lächer-
bitter kritisiert wurden, um später in ihrem lieh sein. Das grösste Genie ist nichts als ein
vollen Licht gesehen und nach ihrem Werte hervorragendvernünftiges Wesen,
geschätzt zu werden, nachdem die konven- „
tionellen Formen vergessen waren, die den erst

so gerühmten Eintagswerken zum Erfolge ver- Vormittags war Millet bei mir ... Er

halfen. spricht von Michelangelo und der Bibel, die,

# wie er sagt, das einzige Buch ist, das er liest

oder ungefähr. Das erklärt die etwas anspruchs-

7. September 56. Ich sehe von meinem volle Haltung seiner Bauern. Uebrigens ist

Fenster aus einen Parketeur, der bis zum Gürtel er selbst Bauer und rühmt sich dessen. Er

nackt in der Galerie arbeitet. Ich beobachte, gehört so recht zu der Pleiade oder zu der

indem ich seine Farbe mit der der äusseren Rotte der bärtigen Künstler, die die Revolution

Wand vergleiche, wie farbig die Halbtöne im von 1 848 machten oder ihr zujauchzten, sicht-

Fleisch sind im Vergleich mit den leblosen lieh im Glauben, es würde nun wie eine

Materien. Ich konnte dieselbe Sache vorgestern Gleichheit der Güter auch eine Gleichheit der

auf dem Platze von St. Sulpice beobachten, Talente geben. Millet scheint mir allerdings

wo ein Gassenjunge auf die sonnenbeschienenen als Mensch über diesem Niveau zu stehen, und

Gestalten des Springbrunnens geklettert war; in der kleinen Anzahl von ziemlich gleich-
es
 
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