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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0458

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den wesentlichen Inhalt eines Bildnisses bildet:
die photographische Ähnlichkeit; er brachte nur
den Rest zur Evidenz.

Und so gab er in Allem, Landschaft oder
Figuren, den coloristischen Eindruck, und zwar
mit einer solchen Meisterschaft, dass, wenn immer
er sich herbeiliess in der Societe nationale des
Beaux-Arts auszustellen, seine Werke die Auf-
merksamkeit geradezu absorbierten, denn in den
letzten zwanzigjahren haben schönere Harmonien
die kritischsten Augen nicht entzückt. Er gab
seinen Bildern Titel, die das für ihn Wesentliche
aussprachen, so nannte er ein Frauenporträt
Arrangement in Schwarz; eine Harmonie in Grau
und Rosa war ein Bildnis der Madame Meux;
Grün und Violett war Madame S. .. ., Schwarz
und Gold der Graf Robert von Montesquion, und
ein Nocturno und Grün und Gold der Schnee in
Chelsea. Grau und grün war der Ozean — blau
und gold San Marco in Venedig.

Bekannt ist der Prozess, den er infolge eins
seiner Bilder — gerade eines Nocturnos — dem
Kunstkritiker Ruskin zugezogen hat. „Ich habe
keine so grosse Unverschämtheit bis jetzt ge-
sehen", schrieb dieser berühmteste Geschmacks-
bildner seiner Zeit, „als :oo Guineen dafür zu
fordern, dass man einen Topf voll Farbe dem
Publikum ins Gesicht wirft". Natürlich musste
Whistler den Kritiker vor Gericht verfolgen. Am
26. und 27. Juli 1877 wurde diese Verhandlung
geführt, welche ungeheures Aufsehen erregte und
die grössten Namen des künstlerischen England
für und gegen den Künstler Partei nehmen liess.
Für Ruskin sprach sich unter Andern Burne-Jones
aus und Whistler hat ihm niemals dieses, wie er
es ansah, unkünstlerische Übereinstimmen mit
dem Standpunkt des Philisteriums vergeben. Für
Whistler sprachen William M.Rossetti und Albert
Moore. Ruskin wurde zu einem Pfennig Schaden-
ersatz verurteilt.

Im selben Jahre 1877 war in London Whistlers
Carlyle ausgestellt.

Original in seinen künstlerischen Conceptionen
war Whistler nicht weniger original in seiner
Lebensführung, die er mit Mysterium umgab.
Er war witzig und boshaft im höchst möglichen
Grade und in seinem Buche „von der allerliebsten
Art, sich Feinde zu machen" und besonders in
seiner berühmten ten o'clock-Vorlesung über die
Kunst sind Stellen von der höchsten Klassizität
nicht nur der Kunstanschauung, sondern auch des
Witzes. Er war auch ein Freund von Oscar Wilde
gewesen, an dem er sich rieb — aber dessen Kunst-
anschauung ihm doch tief unter der seinen zu
stehen schien, so dass er ihn im Grunde ver-
achtete. Swinburne hat er sehr geliebt und in
Frankreich Mailarme. Die Zahl der Anekdoten,
die über ihn umgehen, ist massenhaft; eine der

schönsten ist die, wie Dante Gabriel Rossetti zu
ihm kam und ihm erzählte, dass er mit einem Bilde
nicht zu Stande käme, dass er aber ein schönes
Sonett über das Bild geschrieben habe. „Thu dann
doch das Sonett in den Rahmen", sagte Whistler
dem ... Freunde.

Übrigens hatte Whistler nicht unter dem Druck
einer Unkenntnis von seiner Bedeutung zu leiden.
Eine dafür charakteristische Begebenheit erzählte
mir eben jetzt ein pariser Freund des Verstorbenen.
Eines Tages kam ein unwissender Kunstsammler
zu Whistler und sah seine Bilder an. „Ich möchte
Ihr ganzes Atelier kaufen", sagte er, „kann ich
das?" „O ja", antwortete Whistler, „der Preis
ist drei Millionen". Der Sammler öffnete die
Augen weit: „Drei Millionen?" „C'est un prix
posthume", entgegnete Whistler und er hatte
dabei jene Sicherheit und Überlegenheit und
Würde, die den grossen Mann für alle auszeich-
nete, die in ihm bei aller seiner Spottlust und
seinem clownesken Betragen die Grösse er-
kannten. Emil Heilbut.

ZEITSCHRIFTENSCHAU

Unser berühmter Landsmann Adolf Hildebrand,
der auch den Italienern eine massgebende Persön-
lichkeit ist, war von der Nazioue um seine Meinung
über die Aufstellung einer Copie des David von
Michelangelo dort, wo das Original gestanden hatte,
auf der Piazza della Signoria in Florenz gebeten
worden. In seiner Antwort erörtert Hildebrand
nicht allein den Fall selbst in der ihm eigenen
überzeugenden Weise, er entwickelt auch das histo-
rische und alle sich aus dem Sachlichen ergeben-
den Anschauungen so lehrreich, dass man nicht ver-
fehlen kann, auf diesen Aufsatz hinzuweisen; Nach-
dem italienischen Original hat ihn zuerst die Frank-
furter Zeitung gebracht; wir citieren hiernach:

„Jeder, der noch die Piazza della Signoria in
Florenz mit der Davidstatue Michelangelos ge-
sehen hat, wird die Lücke empfinden, die durch
die Entfernung entstanden ist; nicht nur die mate-
rielle Lücke ist fühlbar, sondern auch der Adel
des Platzes hat bedeutend abgenommen. Der
David spielt nicht nur eine dekorative Rolle, son-
dern er ist trotz des grossen Massstabes eine in-
dividuelle plastische Schöpfung voll intimster
Naturwahrheit und innersten organischen Lebens.
Er ist darin ein Unikum und überragt alles, was
je an Kolossalstatuen geschaffen worden ist.

Kein Wunder also, wenn von dieser Statue sich
ein höherer Grad künstlerischer Weihe über den
ganzen Platz verbreitet. Ein Michelangelo auf
der Strasse — welche Stadt kann das aufweisen!
Seine mächtige Individualität drückte dem ganzen
Platze den Stempel auf. Man stand unmittelbar
dem höchsten künstlerischen Ernste gegenüber.

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