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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0459

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Es ist eine charakteristische Seite von Florenz, dass, sich dicht an der Ecke als weitere Fortsetzung

wo Architektur und Plastik zusammen auftreten, der Fassadenrichtung des Palazzo Vecchio der

wie z. B. bei Or San Michele u. s. w., die Plastik Brunnen anschliesst und dann weiterhin das

ersten Ranges ist und neben ihrem dekorativen Reiterstandbild aufgestellt wurde, entstanden aus

Zwecke auch als Plastik ihre volle selbständige Be- dem Gesamtplatz zwei Plätze. Der vordere,

deutung erhält. Wie beim griechischen Tempel der Hauptplatz, den die Fassade des Palazzo

die Plastik das letzte höchste Zusammenraffen des Vecchio und weiterhin die ebengenannten Monu-

Kunstvermögens, die letzte Blüte der Gesamt- mente begrenzen, und der kleinere links dahinter

Schöpfung bedeutet, wo die Architektur sozusagen liegende Platz.

zur menschlichen Figur greift und zur Bildhauerin Diese also jetzt absolut für den Eindruck des

wird, um sich zu steigern und das letzte Wort zu Platzes notwendige Reihe des plastischen Schmuk-

reden - so lässt sich andererseits von einer Plastik kes ist durch die Entfernung der Davidstatue in

sprechen, die wie z.B. bei römischen und Barock- ihrem Zusammenhang zerrissen, und so, wie jetzt

bauten der Architektur dient, und nur als Schmuck die Monumente dastehen, ist auch ihre architek-

und dekoratives Element spricht und darin gipfelt, tonische Wirkung wesentlich abgeschwächt und

ohne eine selbständige Rolle zu beanspruchen. undeutlich gemacht. Es ist deshalb eine absolute

Die Stärke von Florenz lag nie in dieser Art künstlerische Notwendigkeit, diesen Zusammen-
von Plastik, diese ist in Rom zu Hause — das zeigen hang wiederherzustellen, um dem gesamten archi-
nur allzusehr die anderen Kolosse, welche zu tektonischen Sinn der Platzanlage gerechtzu-
Füssen des Palazzo Vecchio stehen. Jetzt, wo sie werden; d. h. es muss die Lücke wieder ausgefüllt
allein sprechen, tritt ihre Inferiorität nach beiden werden. Wohl aber muss einem anderen Be-
Richtungen offen zutage und sie erniedrigen da- denken ausdrücklich entgegengetreten werden,
durch das künstlerische Gasamtniveau des Platzes. das in bezug auf die Möglichkeit einer guten Kopie
Als der David noch unter ihnen stand, kamen sie der Davidstatue erhoben worden ist. Gerade
nicht zu Worte, sein Glanz war zu mächtig und die Davidstatue des Michelangelo lässt sich sehr
sie behielten nur ihren Wert in ihrer architek- wohl genau kopieren. Im Gegensatze zu seinen
tonischen Rolle, die sie auf dem Platze zu spielen bloss abbozzierten Arbeiten oder zu jenen späteren
haben. Diese ihre architektonische Bedeutung ver- Werken, wo, wie z.B. bei der Statue der „Nacht"
langt ein besonderes Eingehen. in den Mediceergrabern, Michelangelo durch die

Die künstlerische Entwicklung des Platzes della verschiedenartige Behandlung des Marmors als
Signoria ist eine an sich höchst interessante. Da Stoff, durch Polieren und Rauhlassen, durchstehen-
der Palazzo Vecchio sich in der einen Ecke des lassen von Meisselhieben etc. seinen Schöpfungen
Gesamtplatzes vorschiebt, und also mit seiner ein weiteres Leben verliehen hat, unabhängig von
ganzen gewaltigen Masse in den Platz hineinragt, der positiven Form, ist beim David alles positive
so muss der ursprüngliche Eindruck, als er noch klare Formgebung ohne irgend welches Spiel in
allein auf dem Platze stand, ein viel schrofferer der Behandlung. Da wo der Entstehungsprozess
als jetzt gewesen sein, das plötzliche Hereintragen der Arbeit noch sichtbar und die Meisselführung
desKolossesmussetwasErdrückendesgehabthaben. ein verwertetes Mittel des Ausdrucks bildet, ist
Dazukommt, dass die gewaltige Steinmasse des das Bedenken gegen eine Kopie sehr gerechtfertigt.
Baues wie in einem Anlauf von der Erde ununter- Wo aber die Form so eminent präcis ist und
brochen bis zu der obersten ausladenden Krönung durch ihre Positivität allein spricht, wo ferner bei
steigt, um dann noch einmal im Turme dieselbe der Grösse des Massstabes die Formgebung über-
Bewegung zu wiederholen. Diese zweimal wieder- all zu so einfachen klaren Flächen geführt hat, ist
holte charaktervolle Bewegung treibt die Wucht gerade der Fall für das Kopieren in seltenem
des ganzen Baues nach oben, wodurch der kriege- Grade gegeben. Nicht nur genau plastisch ko-
rische Eindruck und die ganze Stadt beherrschende pieren lässt sich die Figur, sondern sie lässt sich
Wirkung entsteht. Für den Platz selber und für auch in ihrer Patina so nachahmen, dass die frühere
den nahen Standpunkt hatte aber diese Wirkung Wirkung auf der Signoria durchaus gesichert ist.
natürlich den Nachteil, dass dem Auge unten am Man möge doch an die vielen Marmorkopien
Fusse des Baues nichts als die ungegliederte Stein- denken die im Altertum geschaffen worden sind,
masse geboten wurde und der Eindruck des mittel- und die heute noch ihre volle Wirkung üben, wie
alterlich finster Drohenden vorherrschen musste. die Ajaxgruppe in der Loggia zeigt.
Es lag deshalb die Idee sehr nahe, die Statue Aus all diesen Gründen erscheint die Herstel-
des David unten vor dem Palazzo Vecchio auf- lung eines Ersatzes an Ort und Stelle durch eine
zustellen und dadurch den Platz und die Fassade Kopie nicht nur wünschenswert, sondern künst-
auch für unten künstlerisch zu beleben. Indem lerisch begründet und geradezu notwendig."

DER UNGEKÜRZTE ABDRUCK DER AUFSÄTZE IST VERBOTEN. ABDRUCK IN GEKÜRZTER FORM IST NUR UNTER VOLLST. QUELLENANGABE GESTATTET

REDAKTION: BERLIN W DERFFLINGERSTR ASSE 16
VERANTWORTLICH FÜR DIE REDAKTION: BRUNO CASSIRER, BERLIN. DRUCK DER OFFIZIN W. DRUGULIN, LEIPZIG
 
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