Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

DOI Artikel:
Van de Velde, Henry: Die Belebung des Stoffes als Schönheitsprincip
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0462

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Zwölftes Heft. Inhalt: Henry van de Velde, die Belebung des Stoffes als Schönheitsprincip ... Oswald

Sickert, Whistler . . . Karl Scheffler, moderne Baukunst. . . Emil Heilbut, eine Streitfrage.. . Chronik:

Berlin, Dresden, Stuttgart, Wien, Paris. . . Bücherbesprechungen . . . Aus Zeitschriften.

DIE BELEBUNG DES STOFFES
ALS SCHÖNHEITSPRINCIP

VON

HENRY VAN DE VELDE

N DER fortwährenden Be-
schäftigung mit der Vergangen-
heit und der Unwirklichkeit,
bei denen sie die Schönheit
für ihre Kunst suchten, verloren
die Künstler jedes Wissen von
der Schönheit der Materialien, die sie zu
ihren Werken benutzten. Diese Unwissenheit
gipfelte in der Zeit, die wir die akademische
nennen und die ihren Höhepunkt um die
Mitte des 19. Jahrhunderts erreichte. Die
Akademien und das Sammelsurium von Dingen,
die sie lehrten, hatten jeden Rest der göttlichen
Naivetät erstickt, mit der die frühen Maler,
Bildhauer, Dichter und Musiker ihre primitive
Technik benutzten und ihre Gegenstände er-
fanden, jeden Rest der Leidenschaft und Sinn-
lichkeit vernichtet, mit der zur Renaissance-
zeit Architektur, Malerei und Plastik die
Materialien behandelt hatten, aus denen sie
ihre Werke bildeten.

Die Akademiker vernichteten die heidnische
Auffassung der Kunst, die die Renaissance
sich schuf, und die sinnliche Lust, mit der sie
die Kunst genoss.

Das Streben der Künstler, ihre Wirkungs-
mittel und deren Wesen und Tugenden kennen
zu lernen, brauchte nachher unendlich lange,
um die nebelgrauen Phantastereien und Theo-
rien abzustreifen, die ihnen jene Wirkungs-
mittel verschleierten und deren Wichtigkeit
herabminderten; und man kann an der Länge
dieser Zeit die Menge des Ballastes ermessen,
den sie auswerfen mussten, um emporzusteigen
zu dem Begriff einer Schönheit, die durch
die Technik, durch die Form, durch den
Stil besteht.

Was sich zwischen sie und ihre Technik
eingeschoben hatte, räumten die Künstler fort,
als sie den Grundsatz aufstellten, ,,1'art pour
l'art", d. h. „die Kunst hat nur um Kunst zu
sorgen". Sie befreiten sich damit von den

453
 
Annotationen