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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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Sickert, Oswald: Whistler
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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0473

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WHISTLER

VON

OSWALD SICKERT

NIEMALS war eine Kunst so unerreichbar Gegenstande mit dem scharf erkannten Cha-

für das Wort wie bei Whistler. Keine rakter des zu seiner Wiedergabe dienenden

hängt anscheinend so wenig mit der „Theorie" Mittels. Der Mann hatte in der That das

oder dem „Ideal" zusammen — keine aber giebt Recht, in seinem Leben erbarmungslos gegen

mehr Anlass zu Erläuterungen und Auslegungen. Dummheit, Stumpfsinn und die sie begleitende

In ihrer oft unglücklich ausgedrückten Er- Erniedrigung und Gespreiztheit zu sein und

kenntnis dieser verwirrenden Eigenschaft haben den schlaffen Geist, der das Konventionelle

die Kritiker, deren Geschäft es ist Worte zu hinnimmt, zu bekämpfen. Denn seine Arbeit

schreiben, immer und immer wieder un- zeigte ein Auge, welches stets unmittelbar

wissentlich für den objektiven Charakter seines erfasste und eine Hand, die immer beweglich

Genies Zeugnis abgelegt. Ich glaube nicht, war.

dass man sich die wunderbare Natur seines Bei allen Verfahren, welche er anwandte,
Instinktes deutlicher vergegenwärtigen kann, war er ganz er selbst, ein Künstler von scharf
als wenn man daran erinnert, dass des Künstlers differenzierender und individueller Auffassung.
Hand sich überall ihren Weg mit vollständiger Bei jedem Verfahren erreichte er sich selbst.
Freiheit auf allen Gebieten bahnte: in der Die Genauigkeit der Wiedergabe in seinen
Oelmalerei, im Aetzverfahren, in der Aquarell- Themse-Aetzungen ist nicht weniger ein voll-
und der Pastellmalerei und in der Lithographie, kommenes Resultat des Aetzverfahrens und
Geschmack ist ein armer Begriff um als Lob nicht weniger eine sympathisch berührende
für einen grossen Künstler zu dienen; wenn Wiedergabe neuentdeckter Wahrheiten, als
wir das Wort aber gebrauchen, um ein Mit- die freiere Behandlung in seiner späteren
fühlen zu beschreiben, welches angesichts der venetianischen Periode. Er war der einzige
Natur sich nach den, dem verwendeten Ver- Maler in England während der zweiten Hälfte
fahren innewohnenden Eigenschaften richtet, des neunzehnten Jahrhunderts, dessen Werke
so bezeichnen wir so einen niemals irreleitenden in Oelmalerei gleichmässig die schöne Aus-
Führer. Selbst der grösste Künstler kennt beutung der Vorzüge dieses Mittels waren;
keinen besseren Führer. Man ist deshalb ge- dabei legte seine Technik der Frische und
rechtfertigt, wenn man den Geschmack als Vielfältigkeit seiner Anschauung keine Be-
das Kennzeichen für Whistler anerkennt. Takt schränkung auf, ihm, der eher das Bestreben
ist ein zweites, arm klingendes Wort, das sich hatte, das zu treffen, was er in so verschieden-
als Bezeichnung für den Künstler aufdrängt, artigen Vorwürfen sah, wie die zart aufge-
demseineKunst mit unerreichter Gleichmässig- setzten Spieren des „Schiffs im Eise", die
keit gelang, dessen Wagnisse keine Versuche, fliessenden Figuren in dem Gemälde „Am
sondern Grosstaten waren, vollständig und Klavier", die breiten Silhouetten in seinem
definitiv wie der Schmetterling, den er zu Carlyle oder die verblüffende und vorzügliche
seinem Zeichen erkor und der ebensowenig Arbeit in dem Kindergesicht der Miss Alexander.
Anstrengung erkennen lässt. Whistlers Takt Seine Wasserfarben lassen nicht weniger er-
war die instinktive Verbindung von Gegen- kennen, dass sein Pinsel in Wasser getaucht
stand und Verfahren, die harmonische Ueber- war, als man aus seinem Pastell erkennt, dass
einstimmung der klarsten Auffassung vom er mit einem Stift zeichnet.

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