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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Der modernen Abteilung des kunsthistorischen
Museums sind Neuerwerbungen einverleibt worden,
die grösstenteils österreichische Maler betreffen. Er-
wähnung verdienen: ein von Eduard Steinle in venezi-
anischer Art gemaltes Madonnenbild, „Kaiser Max auf
der Martinswand", ein bisher in tirolischem Privatbesitz
verstecktes Bild des jungen Schwind, eine um i8yo ge-
malte „Ansicht des Stefansdoms von der Kapistran-
kapelle", eine Probe koloristischer Delikatesse des alten
Jakob Alt, drei kleine Malwunder von Pettenkofen, ein
entzückendes Biedermeierbild vom lieben Meister Peter
Fendi, ein wirklich feiner, weil früher Gabriel Max und
ein Porträt, das Lenbach als Anfänger zeigt. H. H-f-d.

PARISER BRIEF

Seitdem ich Ihnen das letzte Mal schrieb, hat
Frankreich drei Maler verloren. Pissarro, Gauguin
und vor kurzem Seguin, einen Schüler Gauguins.
Gauguin begann die Reihe. Er starb schon im Sommer,
sein Tod wurde im Herbst bekannt, und die Ausstel-
lungen, die sich daran schlössen, zogen sich bis tief in
den Winter hinein. Gewöhnlich sind solche Ausstel-
lungen das definitive Begräbnis des Künstlers; in Paris
dienen sie zuweilen, ihm das ewige Leben zu sichern.
So scheint es bei Gauguin der Fall. Wie sein Freund
van Gogh bekannte sich auch Gauguin erst, nachdem
er alle möglichen anderen Berufe durchgemacht hatte,
zu seiner Kunst. Er ging als Junge zu Schiff und blieb
mehrere Jahre Seemann, wurde dann Bankbeamter in
Paris und fing als Dreissiger an zu malen. Bewunde-
rungswürdigveranlagt, der geborene Autodidakt, genügte
ihm die freie Lehre Pissarros und Guillaumins, um zu
einer ursprünglich den Impressionisten nahe stehenden
Technik zu gelangen. Das Studium Manets und nament-
lich Degas trieb ihn zu einer stärkeren stilistischen Aus-
bildung. 1886 ging er in die Bretagne, wo seine ersten
Bauernbilder entstanden, die bereits die stark synthe-
tische Richtung erraten lassen. Dieser kam er durch
eine Reise nach Martinique im folgenden Jahre noch
näher. Er brachte glänzend gezeichnete Landschaften
mit prachtvollen farbigen Flächen mit, die mit den
Bildern der Monet und Pissarro so gut wie nichts mehr
gemein haben. Der Einsame hatte im Urwald ganz die
europäischen Rezepte vergessen; die Lehre von der
Teilung wollte seinem stark phantastischen Sinn nicht
mehr für die überschwängliche Pracht der Zone ge-
nügen. Der Widerstand, den er fand, trieb ihn, den un-
bewussten Gegensatz noch deutlicher zu gestalten; er
betonte in den Bildern, die er nach der Rückkehr aus
Martinique malte, immer mehr den Umriss und die ge-
schlossene Fläche und brach ganz mit den Älteren, um
sich in Pont Aven, in der Bretagne, eine eigene Schule
zu bauen.

Der Wert Gauguins kann den Deutschen, die seine
Werke nicht kennen, ohne Abbildungen nicht deutlich
gemacht werden. Hoffentlich bringt diese oder jene
Secession bald eine Ausstellung, wie sie vor kurzem
Vollard, der einzige Händler, der sich mit Gauguin be-
fasste, veranstaltet hat. Hier kann nur auf den ausser-
ordentlichen Einfluss hingewiesen werden, der von Gau-
guin ausging. An die Schule von Pont Aven nämlich,
die aus Bernard, Seguin, Serusier und vielen anderen
noch weniger bekannten Künstlern bestand, schloss sich
mehr oder weniger eng die ganze junge Generation
Frankreichs an, die sich heute des Prestiges erfreut, die
Nachfolgerschaft der Impressionisten anzutreten. Se-
rusier vermittelte den Maurice Denis, Bonnard, Vuillard,
Roussel, Vallotton, Maillol u. a. die Lehre Gauguins, die
sowohl dafür sorgte, die Jugend aus den Banden der
Ecole des Beaux Arts zu befreien, als auch sie davor
bewahrte, die Doktrinen Monets, andererseits Seurats
widerstandslos zu der ihrigen zu machen. Gauguin trieb
zu höheren Aufgaben, als sie der französische Amateur
zu stellen vermochte. Er lenkte seine Schüler auf Puvis
und zeigte ihnen gleichzeitig, dass Puvis nicht die einzige
Lösung, um zu einer Monumentalmalerei zu gelangen,
darstellte. — Viele Ausländer, Willumsen, Munch u. a.,
profitierten von der Bewegung; mittelbar hat Gauguin
wohl die meisten der der Dekoration zustrebenden
Jungen gefördert, die um das Jahr 1890 die Indepen-
dants besuchten.

Er selbst entzog sich bald seiner Schule. Gauguin
gehörte zu den Künstlern, die den Misserfolg brauchen,
um sich zu stählen. Er bekam ihn wie van Gogh ge-
nügend zu kosten, und der Hass auf all das Überlebte,
das sich in Paris seiner Anerkennung entgegenstellte,
wurde bei ihm zu dem Hass auf Europa, der den Aben-
teurer wieder in andere Zonen trieb. 1891 ging er das
erste Mal nach Tahiti. Dort hat seine Kunst den exo-
tischen Inhalt gewonnen, der seinen schönen Dichtungen,
seiner Plastik, seinen schönsten Gemälden und Zeich-
nungen eigen ist. Er starb am 9. Mai 1903 auf der
Insel Dominique. Der Herbstsalon brachte einen kleinen
Raum mit Gauguinschen Bildern aus Privatbesitz, zu-
mal aus der ersten Zeit. Vollard zeigte darauf die reichen
Gemälde und Zeichnungen, namentlich der letzten
Jahre. Eins der schönsten, „les Cotes barbares" wurde
von dem Folkevang-Museum in Hagen, das bereits
mehrere Werke Gauguins besitzt, erworben.

Über den anderen grossen Toten wird Ihnen ein
besonderer Aufsatz berichten. — Im Louvre hat man
das grosse Freskenfragment Chasseriaus aus dem Palais
des Comptes, das 1900 auf der Centennale war, auf-
gestellt. Es deckt die Wand an dem escalier Daru, wo
früher der grosse Fra Angelico hing, neben den Fresken
Botticelli's und erfreut mit seinen herrlichen Linien und
seiner stillen Pracht alle Verehrer des früh verstorbenen
Meisters. J. Meier-Graefe.

ZWEITER JAHRGANG, SIEBENTES HEFT. REDAKTIONSSCHLUSS AM 28. MÄRZ, AUSGABE ANFANG APRIL NEUNZEHNHUNDERTVIER
VERANTWORTLICH FÜR DIE REDAKTION: BRUNO CASSIRER, BERLIN. DRUCK IN DER OFFIZIN VON W. DRUGULIN, LEIPZIG.
 
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