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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Pauli, Gustav: Lenbach
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0357

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zu haben, wenn sie jung und schön waren. Er
gab ihnen Anmut und einen Hauch verführerischer
Sinnlichkeit. In seinen letzten Jahren hat er ein-
mal einen weiblichen Akt gemalt, der nichts als
dieses Wesen mit kühnster Deutlichkeit geschildert,
enthält.

Seiner Art der Darstellung gab er den Charakter
blendender Genialität. Das Absichtsvolle dabei
wurde bald allgemein empfunden und von manchen
ebenso entschieden abgelehnt, wie von andern
glühend bewundert. Doch muss auch der ent-
schiedenste Gegner die ganz besondere Art zwin-
gender Charakteristik, die Lenbach eingeführt hat,
anerkennen. Ein bedeutender französischer Maler
besuchte einst in Lenbachs Abwesenheit dessen
Atelier und musterte die dort umherstehenden
Bilder und Zeichnungen, Fertiges und Unvoll-
endetes. Mit vielem wusste er nichts anzufangen.
Er machte solche Dinge anders und wie er meinte,
besser, nur die Art, wie Lenbach die Augen malte,
zwang ihn zur Bewunderung. Er traf damit in
der That den Mittelpunkt von Lenbachs Bildnis-
kunst. Wir haben uns daran gewöhnt, im Auge
die unmittelbarste Ausstrahlung des Charakters zu
erblicken. Und so hat es Lenbach dargestellt. Die
Augen auf seinen Bildern sind von wunderbarer
Transparenz, in ihnen ist aller Glanz des Lebens,
der den Wangen nur zu oft fehlt, sie zwingen den
Blick des Beschauers auf sich und beherrschen durch-
aus die Gesamterscheinung — manchmal wie durch
ein Wunder. Auf seiner Voluptas sieht man nur
das linke Auge und auch dieses nur in Verkürzung
als schmalen blinkenden Streifen — gleichwohl
konzentriert es alles Leben des Ausdrucks. Mit
liebevollster Sorgfalt sind immer die Augen be-
handelt, während die Darstellung planmässig um
so flüchtiger wird, je mehr sie sich von ihnen
räumlich entfernt. Daher ist von zerstreuenden
Nebendingen bei Lenbach keine Rede. Selbst die
Hände werden versteckt, oder wenn sie erscheinen
müssen, doch so behandelt, dass sie die Aufmerk-
samkeit nicht abzulenken vermögen.

Ein gemeinsamer Vorzug aller Lenbachischen
Werke ist ihre dekorative Qualität. Mit dem
feinsten Geschmack sind sie für den Schmuck eines
Innenraums zugerichtet, dessen Charakter sich in
Lenbachs eigenem Hause und den Sonderausstellun-
gen seiner Bilder deutlich offenbart. Aus der phan-
tastischen Pracht eines dämmerigen Gemaches, das
mit kostbarem alten Gerät und tiefgefärbten Stoffen
erfüllt ist, leuchten die goldigen Töne seiner Bild-

nisse hervor, die noch grade genug Licht empfangen,
um das Wesentliche ihrer Vorzüge zu zeigen.
Der Takt, den Lenbach hier offenbarte, war aller-
dings unfehlbar. Er selber wusste das wohl und
blickte mit unsäglicher Geringschätzung auf die
vielfältigen Bemühungen der Dekorationskünstler
einer jüngeren Generation herab. Und doch!
Vielleicht berühren wir hier die bedenklichste
Seite in Lenbachs Wirksamkeit.

Ihn persönlich trifft darum kein Vorwurf. Er
steht da als der letzte und glänzendste Vertreter
jenerKunstbewegung des neunzehnten Jahrhunderts,
die alles Heil in der Wiederbelebung historischer
Formen erblickte. Kein anderer hat so feinen Duft
aus den welken Blumen gesogen wie er. Aber
freilich — Früchte hat auch er nicht aus ihnen
erwecken können. Ein träumerisches Entzücken
kann den Beschauer anwandeln in den Räumen,
die von Lenbachs Geiste erfüllt sind, die er mit
liebevoller Hand geschmückt hat. Man fühlt sich
in ferne Zeiten und Länder sehnsüchtig zurückver-
setzt. Wir sind in Florenz, Venedig, im sech-
zehnten oder siebzehnten Jahrhundert. Gleich
geht die doppelte Thüre auf, die Dogaressa wird
erscheinen im Brokatgewande, dessen Schleppe die
Pagen im Purpursammt tragen. — — Doch wenn
wir uns darauf besinnen, dass draussen die Tram-
bahnen sausen, dass wir deutsch sprechen, täglich
die Zeitung lesen, dass wir karrierte Hosen und
gelbe Schuhe tragen, kurz, dass wir nun einmal
leider oder gottlob am Anfang des zwanzigsten
Jahrhunderts stehn, dann weicht das Entzücken dem
tiefstem Unmut. Was soll uns diese verblichene
Pracht, die gespensterhaft fremde Worte uns zu-
raunt? Ist sie der Ausdruck unseres Wesens? —
Sind wir wirklich so arm, so impotent, dass wir
immer nur die alte Herrlichkeit betrachten und be-
tasten müssen, sie hierhin und dorthin tragen, immer
nur nachfühlenundnichtsNeues erzeugen können?—
Ist denn diese Feinheit wirklich Grösse und birgt
sich hinter diesem genialischen Aufputz wirklich
die Kraft? —

Doch was sage ich! Sogar diese Fragen gehören
bereits der Vergangenheit. Wir haben die Ant-
worten längst gehört — und gesehen.

Der Widerspruch, der sich einst leidenschaft-
lich regte und den Lenbach selbst kühn heraus-
forderte, ist stiller geworden. Bald wird er gegen-
standslos sein und verstummen. Und auch die
Gegner werden ihren Kranz seinem Gedächtnis
weihen.

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