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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Kessler, Harry: Ein neuer englischer Künstler: A. E. John
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0360

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A. E. JOHN, MÄDCHENSTUDIE

EIN NEUER ENGLISCHER
KÜNSTLER: A. E. JOHN

VON

HARRY GRAF KESSLER

DIE englischen Maler, die uns die Ausstellungen
bescheren, sind immer mittelmässig oder bloss
geschmackvoll und geschickt. Man hat sich daran
gewöhnt, und hält die englische Malerei für tot.
In Wirklichkeit aber besitzt England, von deutschen

Glaspalästen unbemerkt, zwei der eigenartigsten
lebenden Maler, den alten Brabazon, Turners Erben,
und den urenglisch harten und mächtigen Impres-
sionisten Steer. Zu diesen scheint sich als Urheber
ursprünglischer und lebendiger Werke ein ganz
junger Künstler gesellen zu wollen: A. E. ]ohn,
der gegenwärtig in New English Art Club in
London und im Museum am Karlsplatz in Weimar
Arbeiten, hauptsächlich Zeichnungen ausstellt.

John hat wie alle bedeutenden englischen Künst-
ler als Eklektiker angefangen; ich sage, wie alle
bedeutenden englischen Künstler vielleicht mit Aus-
nahme von Constable: wie Reynolds, Wilson, Gains-
borough, Turner und Stevens. In John sind Ingres,
Rembrandt, Watteau, Millet wiederzuerkennen.
Legros und in gewissen Beziehungen Rothenstein
haben ihm Winke gegeben. Aber sein Tempera-
ment, eine ungewöhnliche Leidenschaft, aus der
Natur Form und Linie herauzusehen, hat die Manier
jedesmal fortgeschlifFen und das Fremde mit dem
eigenen Talent legiert. Jetzt zeigt sich eine Persön-
lichkeit.

Die Eigenschaften, die sie auszeichnen, die Johns
Werke immer aus ihrer Nachbarschaft heraus-
heben, sind die Kraft und die Feinheit der pla-
stischen Form, der Rhythmus der Komposition und
Silhouette und das starke, kühne Leben des Kohlen-
strichs: eine breite, eigenwillige Handschrift, die
immer etwas bedeutet und von Wirklichkeit voll ist.
Er weiss den Träger der Form, das Material, leicht
und reizvoll in Schwarzweiss zu übersetzen; nament-
lich Haar in derMannigfaltigkeit seiner Erscheinung,
von der reichen, lichterfüllten Pracht des Frauen-
haares bis zum ersten leichten Schatten auf der
Lippe junger Männer. Eine intuitiv psychologische
Auswahl unter den Formen und diese feine und
sichere Wiedergabe der ausgewählten schenken
Johns Porträts zu der zeichnerischen Schönheit noch
grosse seelische Intimität. Dieselben Mittel be-
wirken ja auch die packende Wahrheit von Ingres
und Holbein. John dringt durch sie manchmal in
dieselben seelischenRegionen wie auf anderenWegen
Edvard Munch. Die Kraft der Silhouetten aber er-
innert an Liebermann.

Es bleibt abzuwarten, wie diese Begabung sich
entwickeln wird. Millais ist nach ähnlich glänzenden
Anfängen in den sicheren Hafen der flachen Mittel-
mässigkeit eingelaufen. Dafür giebt es andrerseits
unter den englischen Zeichnern die lange Reihe
bedeutender und echter Künstler von Blake und
Rowlandson bis Stevens und Keene. John zeigt in

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