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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Aus der Correspondenz Vincent van Goghs, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0416

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AUS DER CORRESPONDENZ
VINCENT VAN GOGHS

v.

Haag, 85-.

Es ist doch merkwürdig, dass wir beide immer
dieselben Gedanken zu haben scheinen. Gestern
Abend zum Beispiel kam ich mit einer Studie aus
dem Wald zurück — ich war gerade in dieser Woche
besonders mit der Frage der Vertiefung der Farben
beschäftigt gewesen — gern hätte ich mit Dir dar-
über gesprochen an der Hand der Studie, die ich
machte, und siehe da, in Deinem Brief von heute
Morgen sprichst Du zufälliger Weise darüber, dass
Dich auf Montmartre die stark ausgesprochenen und
dennoch harmonisch bleibenden Farben frappierten.

..... Ich habe mich gestern Abend mit dem

sacht ansteigenden Terrain des Waldbodens, der
ganz mit dürren, welken Buchenblättern bedeckt
ist, beschäftigt. Den Grund bildet ein helleres und
dunkleres Rotbraun mit Schlagschatten von Bäumen,
die wie Streifen darüber hinlaufen, flauer oder
kräftiger hingesetzt. Die Aufgabe ist — und ich
finde das sehr mühsam — die Tiefe der Farbe
herauszukriegen und die enorme Kraft und Festig-
keit des Terrains — und doch merkte ich bei der
Arbeit, wie viel Licht auch noch in der Dunkelheit
sass! Das Licht muss man geben und doch die Glut,
die Tiefe der reichen Farbe festhalten. Denn es ist
kein Teppich so prächtig denkbar wie jenes tiefe
Braunrot in der Glut einer gleichwohl durch die
Bäume gedämpften Herbstabendsonne.

(FORTSETZUNG)

Auf diesem Boden wachsen Buchenstämme,
die auf der einen, vom hellen Licht beschienenen
Seite glänzend grün sind, während die Schatten-
seite der Stämme ein warmes starkes Schwarzgrün
zeigt. Hinter den Stämmen, hinter jenem braun-
roten Boden wird einHimmel sichtbar ganz fein blau,
von warmem Grau — beinahe nicht mehr Blau
— und dagegen steht ein duftiger Hauch von Grün
und ein Netzwerk von Stämmen mit gelblichen
Blättern. Die Gestalten einzelner Holzsucher schlei-
chen umher wie dunkle mysteriöse Schatten. Die
weisse Haube einer Frau, die sich bückt, um ein
paar dürre Aeste aufzunehmen, hebt sich plötzlich
von dem tiefen Rotbraun des Bodens ab. Ein
Rock fängt Licht, ein Schlagschatten fällt, die
dunkel Silhouette eines Mannes erscheint oben am
Waldrand. Eine weisse Haube, die Schultern und
die Büste einer Frau heben sich von der Luft ab.
Die Gestalten sind gross und voller Poesie — und
erscheinen in der Dämmerung des tiefen Schattens
wie riesengrosse in einem Atelier entstandene Terra-
cotten. So beschreibe ich Dir die Natur; wie weit
ich sie in meiner Skizze wiedergegeben habe, weiss
ich nicht, wohl aber, dass die Harmonie von Grün,
Rot, Schwarz, Gelh, Blau und Grau mich frappierte.

Es war ganz de Groux-artig, eine Wirkung
wie z. B. in der Skizze vom „depart du Conscrit".

Das zu malen, war eine Riesenarbeit. Zu dem
Boden brauchte ich anderthalb grosseTuben Weiss;
und doch ist der Boden noch sehr dunkel. Ferner

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