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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Heilbut, Emil: Watts (gest.)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0452

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WATTS f

AN kann nicht leicht vergessen, mit
welcher liebenswürdigen Einsichts-
losigkeit George Frederick Watts von
seinem spielerischen, wenn auch ehr-
lichen Genossen Burne-Jones sagte,
"er wäre ein weit bedeutenderer Künstler als er selbst.
Unter den mannigfachen grossen Eigenschaften des
Künstlers, der uns jetzt verlassen hat, glänzte auch
die Bescheidenheit.

Watts hat mit dem Aestheten, der weit jünger
als er war, der ihm aber im Tode voraufge-
gangen, die nationale Begeisterung genossen. Die
beiden Künstler teilten sich in eine Bewunderung,
die grundverschiedene Formen annahm. „Wer wird
nicht einen Klopstock loben ? Doch wird ihn jeder
lesen? nein. Wir wollen weniger erhoben..." Watts
wurde mehr gepriesen, Burne-Jones mehr geliebt.
Auf hundert junge Mädchen, die sich Photo-
graphien nach Arbeiten des sehr zarten, des sehr
empfindenden, jedoch leider etwas kleinen und in
den Formen erstarrten Aestheten Burne-Jones in ihr
Kämmerlein hingen, kam höchstens eines, das eine
Photographie nach einem Watts erwarb — und
vielleicht nicht verstand. Doch während Burne-Jones'
Ruhm bei aller seiner Ausgedehntheit und Stetig-
keit nie ganz frei von einem Beigeschmack des
Modischen wurde, war die Bewunderung für Watts
wie eine feste kompakte Masse, von der man das
Gefühl hegte, dass nichts sie ins Schwanken bringen
könnte, und die an Ausdehnung jedes Jahr gewann,
das den älter und älter werdenden Maler noch am
Leben sah. Keinem Engländer würde es in dem
Sinn gekommen sein, an der Bedeutung von George
Frederick Watts zu zweifeln; manchem gefiel ein
Bildnis von Hubert Herkomer* besser als eins der

erhabenen Porträts, die man Watts verdankt; hätte
er es aber geäussert, so würde es ihm vorgekommen
sein, als hätte er im Hochverrat eine Provinz von
dem Ruhm seines Vaterlandes abgeblättert. Nichts
war kurioser als einen ehrbaren Philister etwa in der
Tate-Gallery vor einem der Wattsschen mystischen
Gemälde zu sehen: er stand so ehrlich unwissend,
so scheu, achtungsvoll und fremd davor wie vor
einem Phidias, der ihm durch Lord Elgin zu einem
Engländer geworden.

Seltsam war, wie Watts in seinen Porträts, die ja
gewissermassen in einem Gegensatz zu seinen gedank-
lichen Bildern gestanden haben, auf die Nation einen
moralischen Einfluss nehmen wollte wie in seinen
mystischen Werken. Er legte in die Köpfe seiner
Bildnisse so viel sei es von angelsächsischer Schönheit,,
sei es von Vaterlandsliebe, sei es von hochstrebendem
Intellekt (oder welches sonst immer der Vorzug ge-
wesen war, der den von ihm Dargestellten ausge-
zeichnet hatte), dass diese Bildnisse nicht allein durch
ihre malerischeErscheinungundForm, auchnichtnur
durch ihre Aehnlichkeit, dass sie vielmehr durch den
in ihnen gebundenen Ausdrucksinhalt sprachen; sie
thaten das in solchem Grade, dass sie auch in der Em-
pfindung der Bekenher des art pour Fart-Gedankens
über die Kunst hinaus Erschütterungen weckten.

* Hubert Herkomer war ungefähr der einzige englische Künstler,
den Watts nicht vertragen konnte, der dem gütigen und nachsichtigen

Manne wirklich unsympathisch war. •— Man kann das auch sehr leicht
einsehen. In den Porträts von Herkomer ist etwas von aussen Hinein-
getragenes, Kaltes, Herausforderndes; und indem sie virtuosenhaft be-
rühren, fehlt ihnen ganz das Geistreiche des Vortrags, durch das der
Feind des .Bravourhaften oft entwaffnet wird. Watts* Porträts zeigen
eine allmählige Veränderung des Stils. Seine Bildnisse aus späterer Zeit
sind idealistischer als die alten; in diesen lebte noch sehr viel von der
alten. Tradition, subtile Naturbetrachtung und koloristische Noblesse. Ein
besonders schönes Porträt von Watts war sein Bildnis des jugendlichen
Gladstone. Hier wieder ist es interessant, Watts und John Everett Millais
(der ebenfalls ein Bildnis Gladstones, als er ein jugendlicher Minister
war, gemalt hat), zu vergleichen. Watts war ein grösserer Porträtmaler
als Millais; aber Millais stand noch unendlich weit über Herkomer.
Die englische nationale Porträtmalerei hatLeistungen wie die derZeitvon
Watt's und Millais nicht wieder gesehen; sie ist zurückgegangen.

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