Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

DOI Artikel:
Heilbut, Emil: Einige neue Bildnisse von Edvard Munch
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0487

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
allem liegt es aber an den für die Modellierung
des Gesichts verwendeten Tönen. Nicht bezüglich
der meisterhaften Vollendung — das ist selbst-
verständlich nicht eingetreten — aber in bezug auf
das im Ton Geschlossene, auf die Modellierung in
einer beschränkten Skala lässt die Malerei hier an
eine Malerei aus der van Dyck-Zeit denken. Nur
jene unter den Tönen des Bildes, die das Gesicht zur
linken einfassen, zeigen etwas specifisch Modernes,
eine gewisse Heftigkeit. Der Mann steht wunder-
voll da, er ist wirklich sprechend gesehen, die
Charakteristik ist fein und sprühend und das ganze
Bildnis imponiert — trotz kleinen Nachlässigkeiten
in der Zeichnung — durch den ausserordentlichen
Fluss seiner zeichnerischen Behandlung.

Ein weiteres Bildnis zeigt den Maler Schlittgen,
„all in seiner Corpulenz", drastisch, drollig, voller
Komik in seine rGrimmigkeit, voll Verve der Malerei,
in der dabei nie Schlenker um ihrer selbst willen
sind; es ist ein Bild, das von Charakteristik strotzt,
malerisch in einem hellgelben Gemach — sehr von
oben — gesehen. An der Spitze dieses Aufsatzes end-
lich zeigen wir als drittes Porträt den Grafen Kessler.
Das ihn darstellende Bild gewährt den Anblick von
etwas in Farbe völlig Aufgelöstem. Hier ist vorge-
führt, wie in einer Vormittagsstunde heiteres Sonnen-
licht die Bände in einer Bücherei und die Gestalt
eines Bewohners mit farbigem Schimmer ümgiebt.

Von diesen drei Porträts wird, glauben wir,
zunächst nur das an erster Stelle beschriebene Bildnis
des schlanken Rauchers unbedingt goutiert werden.
Was die andern beiden betrifft, so geben wir uns
der Erwartung hin, dass sie — wenn auch das
Schlittgenporträt in seiner humoristischen Qualität
gewürdigt werden mag, jedoch lediglich in dieser —
dem allgemeinen Geschmack durchaus widersprechen.
Wir halten diese Bildnisse dennoch für merkwürdige
und innerhalb ihrer Zeit stehende Erscheinungen.'
Freilich kommt uns vor ihnen der Gedanke, an jene
Broschüre, welche der Prof. Justi gegen die moderne
Kunst schrieb und wir denken vor diesen nur an-
gelegten Gestalten an das Entsetzen, das gewiss den
Gelehrten befallen würde, wenn er sie sähe. Mari
kann gerade bei Munch Unzulänglichkeiten kön^
statieren, die bei einem umfassenden Meister der
modernen Kunst, wie Manet einer war, nicht vor-

handen gewesen sind. Derartige Schwächen und
Unzulänglichkeiten treten bei Munchschen Bildern
immer zu Tage, bald hier, bald dort. Gehen wir
auf solche Mängel in den vorliegenden Bildern ein,
so müssen wir feststellen, dass in dem schönen Bilde
des Franzosen mit der Cigarette z. B. eine Liederlich-
keit (die deutsche Sprak ist eine grobe Sprak, sagte
Riccaud de la Marliniere —) zwischen den Beinen
ist; — nicht auf der Nachbildung, nur auf dem
Original sichtbar. Bei dem Bildnis Schlittgens ist
vielleicht einzuwenden, dass der Boden des Bildes
so befremdlich und stürmend — trotz dem schönen
Kontraste, mit der nun die schwere Gestalt auf ihn
drückt, wird man die Unruhe nicht los — in die
Höhe steigt. Und bei Graf Kessler sieht man auf
der Stirn einen Höcker, den ein Lichtzufall dort
hervorgerufen hat und den unser Künstler in dem
Moment, in dem er malte, offenbar nicht recht
klassifizierte. Aber man würde dem Künstler und
sich sehr Unrecht thun, wollte man sich bei einigen
Unzulänglichkeiten aufhalten, anstatt sich dem Ge-
nüsse an dem erquicklichen Gesamtresultat hinzu-
geben. Die Unmittelbarkeit, die aus den Bildnissen
spricht, erquickt uns. Der Stil, den ihre Zeichnung
atmet, der eigentümlich strenge Stil — ist ganz
Munch. Was das Kolorit dieser Bildnisse betrifft,
so sind nicht schmeichlerische Koloritswirkungen
von aussen in sie hineingetragen — dagegen ist ihr
Kolorit < nicht ohne Grazie, ja es hat der Grazie
selbst sehr viel. Die Bildnisse treten wie die Nieder-
schrift eines Eindrucks in einem Tagebuche ent-
gegen, man möchte hinzufügen: wie die Niederschrift
eines Eindrucks wie ihn die Feder in Goncourt er-
strebte. Wer das feine Buch der Goncourt, „Ide'es
et Sensations" gelesen, erinnert sich mit Vergnügen
der Stelle, an der diese ausgezeichneten Schriftsteller
von.der Leidenschaft reden, von der sie gepackt
sind nach der Unmittelbarkeit zu streben und die
es sie wünschen lässt, aus ihrem Tintenfass, wenn
sie eine Rose schildern wollen, den Eindruck der
Rose selbst, nicht Worte über die Rose, hervorzu-
holen. Etwas von diesem Verlangen tritt uns in
der Mal weise Munchs in seinen Bildnissen entgegen,
besonders bei dem Schwerstzugänglichen von ihnen,
dem- Porträt des Kunstfreundes in dem von Sonne
überstrahlten Bibliothekzimmer. H.

490
 
Annotationen