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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Aus der Correspondenz Vincent van Goghs, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0490

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AUS DER CORRESPONDENZ
VINCENT VAN GOGHS

VIII.

Nuenen 85".

Alle akademischen Figuren sind auf dieselbe
Weise und, wir wollen es ruhig zugeben, „on
ne peut mieux" an einander gesetzt. Tadellos,
ohne Fehler! Du wirst schon merken, worauf ich
hinaus will! Auch ohne dass ich da neue Entdeck-
ungen machte.

Nicht so die Gestalten von einem Miller, einem
Lhermitte, einem Re'gamey, einem Daumier; das
passt schliesslich auch alles gut in einander, aber
anders als die Akademie es lehrt. Ich glaube, dass
eine Figur, so akademisch richtig sie auch sein möge,
in jetziger Zeit doch überflüssig ist, und wäre sie
von Ingres selbst (abgesehen jedenfalls von seiner
„Source", weil die gerade etwas Neues war und
auch bleiben wird), wenn es ihr an dem wesentlich
Modernen: dem intimen Charakter, dem eigentlichen
„es ist geschaffen" gebricht.

Wann wird das Figürliche denn nicht überflüssig
sein, und wären zur Not Fehler, ja selbst grosse
Fehler darin? Wenn der grabende Mann 'wirk/ich
gräbt, wenn der Bauer ein Bauer und die Bäuerin
eine Bäuerin ist. Ist das etwas Neues? Ja,: selbst
die Figuren von Ostade, von Terburg wirken nicht
so wie die von heute.

Ich möchte hier noch viel mehr darüber sagen,
und will dabei doch nicht unerwähnt lassen, wie
viel ich von dem, was ich angefangen, noch besser
machen möchte, und wie viel höher ich die Arbeit
einiger Andern schätze als meine eignen. Ich frage
Dich, kennst Du in der alten holländischen Schule

(FORTSETZUNG)

einen einzigen grabenden Mann, einen einzigen
Sämann??? Haben sie jemals versucht „einen Ar-
beiter" zu machen? Hat Velazquez das in seinem
„Wasserträger" versucht, oder in seinen Typen aus
dem Volk? Nein!

Die Figuren bei den alten Malern „arbeiten"
nicht. — Ich studiere in diesen Tagen eifrig an
einer Frau, die ich Wurzeln aus dem Schnee aus-
ziehen sah. Siehst Du, so hat es Millet gemacht,
so Lhermitte, im allgemeinen auch die Bauernmaler
dieses Jahrhunderts und Israels. Sie fanden das
schöner als irgend etwas anderes. Aber selbst in
diesem Jahrhundert giebt es unter der Legion von
Malern, die die Figur in erster Reihe um der Figur,
d. h. um der Form und des Modells willen malen,
so unendlich Wenige, die sie sich nicht anders denken
können als arbeitend und das Bedürfnis haben, die
Thätigkeit um der Thätigkeit willen darzustellen.
Diesem Bedürfnis gingen die Alten aus dem Wege,
auch die alten Holländer, die sich viel mit conven-
tioneller Thätigkeit abgaben.
1 So, dass das Gemälde oder die Zeichnung so-
wohl ein Figurenzeichnen um der Figur und der
unaussprechlich harmonischen Form des mensch-
lichen Körpers willen, — als auch zu gleicher
Zeit, „ein Wurzelnausziehen im Schnee", sei! Drücke
ich mich verständlich aus? Ich hoffe es und sagte
das schon einmal zu Serret; eine nackte Gestalt von
Cäbanel, eine Dame von Jacquet, und eine Bäuerin,
nicht von Bastien-Lepage selbst, sondern eine Bäuerin
von einem Pariser, der auf der Akademie sein
Zeichnen gelernt hat, werden die Giedmaassen und

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