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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 4.1906

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In diesem wunderbaren Gemälde stossen wir jeden
Augenblick auf etwas Interessantes. Sprechend ist der
Hellebardier, der vom Rande links rückwärts blickt,
dann der Mann, der hinter dem weissen Mann sein
Gewehr untersucht, und wie herrlich wirkt der lachende,
von dunklem Hintergrunde sich abhebende Junge mit
seinem grauen Hut! Der Kopf des Mannes, der mit
seinem Arm auf etwas zeigt, ist auch wieder von be-
sonderer Farbe und Malweise; selbst der graue Pfeiler,
gegen den sich der Kopf mit dem Helm abhebt, wirkt
trefFlich zum Gesamteindruck mit. Aber hier ist noch
etwas Wunderbares, und zwar das fremdartige Mäd-
chen, das sich zwischen allen diesen mannlichen Figuren
bewegt. Viele Kritiker und Kunsthistoriker haben sich
den Kopf darüber zerbrochen, was dies eigentlich zu
bedeuten habe und gefragt, ob diese Figur überhaupt
hierher gehöre. Hatte Rembrandt sie gehört, dann
würde er lächelnd geantwortet haben: Seht ihr denn
nicht, dass ich dieses lichtumflossene Kind hier nötig
hatte, um gegen alle diese nach unten laufenden Linien
und diese dunklen Farben einen Kontrast zu schaffen?
Der Mann mit der Fahne im Hintergrund, der weg-
laufende Hund — alles unterstützt und hilft einander
in Farben, Linien und Effekt. Da ist auf diesem Ge-
mälde auch keine winzige Stelle, die nicht ein seltsames
Malertalent verrät. Hier gilt die Behauptung: Schneide
nur ein kleines Stück aus einem Gemälde heraus, und
ich will dir sagen, ob der Maler ein Künstler ist.

Und nun noch die „Staalmeesters".

Hier schallt uns eine ganz andere Musik entgegen,
als aus den Tönen der „Nachtwache". Still und vor-
nehm ist hier alles, hier herrscht allein die hohe Auf-
fassung des menschlichen Antlitzes. Sie sitzen hier,
diese alt-holländischen Männer und beratschlagen, ihre
Geschäftsbücher vor sich auf dem Tisch. Rembrandt
hat uns ihre Köpfe mit so viel Leben verdeutlicht, dass
sie im Laufe der Zeiten alte Bekannte geworden sind.
Ja, alte Bekannte, die schon einige hundert Jahre ge-
lebt haben, ehe wir da waren. Wie lange schon kenne
ich diesen Mann an der linken Seite mit seiner Hand
auf dem Lehnstuhl, mit den grauen, feinen Haaren,
die unter seinem hohen spitzigen Hut von seiner brei-
ten gerunzelten Stirn hervorquellen. Hier giebt die
Farbe, sowohl im Licht, wie im Schatten, ein Durch-
einander von Fleischtönen, Zwischentönen von Grün
und Rot, Grau und Gelb, sie ist so aneinander ge-
reiht, dass hier etwas erreicht ist, wobei der Verstand
förmlich stille steht. Das Relief, das Hervorspringen
aus dem Hintergrund, ergreift uns wunderbar, aber
auch welches Modell, wie sieht uns der Mann mit dem
einfachen Blick aus den tiefen Augenhöhlen an — es ist
ein Unikum, wie es Rembrandt selbst niemals über-
troffen hat. Auch alle anderen Köpfe, besonders der
Mann, der sich nach vorn beugt, dieser wunderbar natür-
liche Zunftmeister, der vor dem Buch Platz genommen
hat und sein neben ihm sitzender Nachbar bis zum

fünften Kaufmann an der rechten Seite mit dem Diener
hinter sich — alles ist Männlichkeit, Reichtum und Le-
ben. Der Hintergrund ist wieder eine Schöpfung, wie
sie nur Rembrandts feines Gefühl für Linien hervor-
zubringen wusste. Die Wand und das Getäfel umgeben
diese Komposition, als ob sich dies von selbst verstände,
und als ob es auch thatsächlich so gewesen wäre. Und
doch wird dieser geniale Kunstgriff noch durch die
Herrlichkeit des Kolorits des roten warmen Tischtuchs
übertroffen, welches dem ganzen Gemälde einen tiefe-
ren dunkleren Ton verleiht. Ob über dieses Gemälde
nach seiner Vollendung von den Zeitgenossen viel ge-
sprochen und geschrieben worden ist, weiss ich nicht,
aber für uns stellen diese Männerköpfe das Höchste dar,
was die Malkunst erreichen kann. In Madrid, wo mich
die Gemälde von Velasquez bezauberten, machte ich
mit Bekannten einen Spaziergeng durch die Strassen
und über die Plätze der Stadt, an einem Gebäude sahen
wir einen grossen, vielfarbigen Anschlagezettel, auf dem
vermerkt war, dass hier eine Ausstellung moderner
spanischer Künstler zu sehen war. Neugierig traten wir
ein, wir sahen viel Schönes und Gutes — aber plötzlich
standen wir, wie aus Spanien weggeblasen, vor drei
Köpfen aus den Staalmeesters, die ein spanischer Maler-
in Amsterdam kopiert hatte. War es Chauvinismus, war
es Überzeugung? Diese Kopien redeten zu uns einen
Geist grösserer Einfachheit, grossartigerer Auffassung
der Natur und der Menschenwürde als alles, was wir
imPrado bewundert hatten. Ja, dieses Gemälde ist selbst
ein Totschläger für die altholländischen Kunstbrüder:
Der tüchtige van der Helst wird neben ihm oberfläch-
lich, der prächtige Frans Hals skizzenhaft und durch-
sichtig, denn so viel Genialität, so viel Relief bei solcher
Natürlichkeit der Haltung und Gebärden wird nicht
mehr gefunden. Und der Mann, der dieses Wunderwerk
geschaffen, war damals ein armer Bürger, der in einem
dunklen Winkel der Stadt wohnte, in der jetzt zu seinen
Ehren ein Fest gefeiert wird.

Rembrandt steht in unseren Tagen im Zenit seines
Ruhms; Gold hat neben seinen Meisterstücken keinen
Wert mehr; um das Unbedeutendste davon zu besitzen,
opfert man Hände voll Gold, man durchreist nach ihm
die Welt, und die Kritik, die sich lange Jahre hat hören
lassen, ist jetzt verstummt. Merkwürdig ist es, dass
keine der allgemein anerkannten Grössen der Malkunst
im Laufe der Zeiten der Gegenstand so vieler Kritik
gewesen ist wie das Werk Rembrandts. Und dennoch,
was man auch über die Unwahrscheinlichkeit der Vor-
stellung und die Übertriebenheit des dunklen Hinter-
grunds gesagt, bleibt die „Nachtwache" noch stets, wie
die Engländer sie nennen, das Wunder der Welt. Schon
während seines Lebens gab es Leute genug, die es ihm
übel nahmen, dass er nicht bei der Antike und bei den
Italienern in die Schule gegangen war, und dass er die
Natur so malte, wie er sie wirklich zu sehen glaubte.
Uns dünkt dies befremdend, aber es ist doch wahr, denn

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