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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 6.1908

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Heft 4
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Die neue Nationalbank
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https://doi.org/10.11588/diglit.4705#0179

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DIE NEUE NATIONALBANK

in Fremder, der die ersten Ein-
drücke des Berliner Stadtbildes
zwischen Vossstrasse und Lin-
den empfängt, wird glanben,
das Meiste des Geseufzes über
die architektonische Physio-
j gnomielosigkeit der Reichs-
hauptstadt sei AfFektation. Dass solch günstiger
Eindruck erweckt wird, verdanken wir dem
Zufall, der drei neue Bauten Messeis in diesem
Viertel wirkungsvoll vereinigt und sie beziehungs-
reich mit den Resten einer alten grossbürgerlichen
Baukunst in Verbindung gebracht hat. In der Voss-
strasse beherrscht die wunderschöne, raumschafFende
Anlage des Wertheimhauses das Strassenbild; auf
dem wohlproportionierten Wilhelmsplatz sodann,
hinter dessen Häusern eine Kuppel Gontards und
die Spitze der Dreifaltigkeitskirche auftauchen, fällt
der Blick auf die schlicht schinkelnde Architektur
des Prinz Friedrich Leopoldschen Palais; weiter
wandelt man die Wilhelmstrasse hinab, vorüber am
Reichskanzlerhaus und an den fein gegliederten
Bauformen der Reichsämter, bis zu dem mit vor-
nehmer Entschiedenheit eine Strassenkreuzung accen-
tuierenden Stadthaus, das Messel Unter den Linden
für Schulte erbaut hat und bis zur Behrenstrasse,
an deren Eingang sich seit kurzem ein drittes Werk
Messeis erhebt: Das neue Haus der Nationalbank
für Deutschland.

Was diese drei Architekturen unter einander ver-
bindet und sie wie gewachsen inmitten der still wür-
digen Bauten des vorigen Jahrhunderts erscheinen
lässt, ist die lebendige Tradition darin. Messel hat

lange den Anknüpfungspunkt gesucht. Er war zu-
erst nur ein geistreich gründlicher Stileklektizist;
als er das erste Wertheimhaus baute, wurde er zum
modern empfindenden Konstrukteur; seit einigen
Jahren aber hat er die Kunsttradition gefunden, die
eine, der man nicht entrinnen kann. Dadurch ist
er von den „Stilen,c frei geworden und vom Kon-
struktionsnaturalismus und ist zum Stil gelangt.

Die Tradition, die man im Haus Schulte in der
Nationalbank, in der neuen A. E. G. oder im Ballen-
stedter Rathaus erkennt, ist eine Erneuerung eben
jenes Geistes, der aus den alten Palaisbauten und
Regierungshäusern der Wilhelmstrasse, aus den
Kuppeln jener schönen Kirchen zu uns spricht.
Messel hat sich bewusst dem französisch preussischen
Grossbürgerstil aus der Zeit zwischen 1780 und
1830 angeschlossen und der fast traditionenlos Ge-
borene hat sich durch diese Beschränkung erst ganz
frei gemacht. Das von den Berlinern nicht ver-
standene Haus Schulte zeugte schon davon; noch
besser aber thut es nun die Architektur der neuen
Nationalbank. Steht das Haus Schulte für einen
neuen Typ des grossstädtischen Wohnhauses da, so
repräsentiert die Nationalbank als Muster für
eine neue Bankhausarchitektur. Repräsentiert gerade
am rechten Platz, weil sich die Banken fast alle in
der Behrenstrasse nachbarlich angesiedelt haben, als
folgten sie einem ungeschriebenen Zunftgesetz.
Die Architekten können aus Messeis neuester Arbeit
lernen, wie der Künstler mit geringem Aufwand
im besten Sinne darstellend zu wirken vermag; und
die Bankdirektoren können lernen, dass Prunk,
Stilhäufungen und Materialaufwand ihre Institute

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