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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 7.1909

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Heft 2
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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4599#0099

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ein Talent wie Minne nicht durch ein einziges Werk
vertreten ist. Dankbar ist man dagegen für Das, was
Einem von de Braekeleer, den beiden Stevens, Laermans,
Verwee und anderen Künstlern des neunzehnten Jahr-
hunderts gezeigt wird. Es ist die Kunst der „Vater" vor
allem, was der Ausstellung die Accente giebt.

Man begegnet viel tüchtigem Können, einem von
Grund auf soliden Akademismus und einem stets bürger-
lich beherrschten Wollen; aber nirgend auch einer gros-
sen, ursprünglichen Persönlichkeit, nirgend einem ganz
unmittelbaren Kunstwerk. Die neuere belgische Kunst
ist übersatt an Überliefertem, ist eine sehr solide Epigonen-
kunst, reich an Bürgertugenden aber arm an frei gestal-
tendem Genie. Sie ist in zu grosser Nähe und Ab-
hängigkeit von Frankreich und Holland gewachsen, und
hat sich allzu willig auch englischen Einflüssen hinge-
geben. Das Milieu gleicht ein wenig dem Münchneri-
schen. Aus alter Kunstkultur ist nur das beherrschte
Handwerk übrig geblieben. Man sieht ein Niveau, nicht
Gipfel; und mit einem gewissen Stolz konstatiert man,
dass das Niveau in dieser eine Quintessenz gebenden
Ausstellung nicht wesentlich höher liegt als das unserer
Sezessionsausstellungen, die doch nur die Jahresproduk-
tion immer zeigen. Man könnte diesen Vergleich, wozu
der Ort der Ausstellung auffordert, lustig genug aus-
spinnen und zeigen, wieCh.Hermans etwa demall|ährlich
erscheinenden Neven du Mont entspricht, wie Victor Gil-
soul ungefähr Ulrich Hühners Stelle vertritt und James
Ensor die Heinrich Hübners, wie in de Saedeleer ein Karl
Haider vor uns hintritt, in Märten Meisen ein Baluschek,
in Henry Thomas ein Freiherr von Habermann und in
Laermans ein figürlich gewordener Leistikow. Doch
würde man dann in Platznot geraten, wenn es sich
darum handelte, die beiden Führer dort und hier, den
Belgier de Braekeleer und Liebermann qualitativ gegen
einander abzuwägen. Über den starken Maler de Brae-
keleer, der, wie alle Belgier, eigentlich gar keiner ist und
immer Zeichner bleibt, ob er nun Licht und Luft giebt,
Farbigkeit oder ob er gar pointilliert, der „mühselig,
mit gequältem Auftrag arbeitet und in jedem Pinsel-
strich eine Anstrengung verrät", der seinen Vorbil-
dern Vermeer und Pieter de Hoogh allen Schmelz ab-
zustreifen versteht, sich photographisch hart im Ein-
zelnen, in malerischer Plastizität und breiter Spitzpinselei
verliert und doch eine starke und charaktervolle Epi-
gonenpersönlichkeit ist, müsste mehr gesagt werden,
als es hier möglich ist, wenn wir nicht glücklicherweise
auf Das verweisen könnten, was Henri Heymans, — ein
Verwandter des mit zwei sehr frischen Landschaften und
einen romantisch falschen Mondscheinbild in dieser Aus-
stellung vertretenen belgischen Malers A. Heymans —
in „Kunst und Künstler" vor Jahren einmal gesagt hat.
(Jahrg. III. Heft i a.) Nächst ihm interessieren am mei-
sten die beiden so verschiedenen Stevens. Joseph, der
ältere, zeigt sich dem ersten Blick als ein in der grotesk
romantischen Anschauungswelt Decamps' Lebender.

Er malte Hunde, in einer unheimlich dunklen Bräunlich-
keit, gab ihnen michelangelesk übertreibende Formen
und gewaltsame Silhouetten und machte diesen drama-
tischen Aufwand dann irgend einer dummen Garten-
laubenanekdote dienstbar. Alfred Stevens, der Mode-
maler des zweiten Kaiserreichs, giebt sich, ganz im
Gegensatz dazu, in feministisch weicher Pose. Dieser
Frauenmaler verhält sich zu Meistern wie Manet oder
Leibl, wie Fragerolles zu Lantier. Seine „Japanische
Fratze" steht ungefähr in der Mitte zwischen Manet
und Konrad Kiesel. Er nimmt mit diesem Bild eine
Höhe etwa ein wie Munkacsy, der auch dem Courbetkreis
angehörte. Erstaunlich in vielen Dingen handwerklicher
Malkultur, aber Keiner, der aus Eigenem wirtschaftet. Ein
Stolz seines Landes, aber ausserhalb des Kreises der
Grossen und selbst der weniger Begabten stehend, die in
einer Entwicklungsgeschichte der Kunst als fördernde
Faktoren genannt werden müssen.

Das Gleiche kann man mit mehr oder weniger Vor-
behalten von vielen seiner Landsleute noch sagen. Von
Verhaeren zum Beispiel, den man einen de Braekeleer
des Stilllehens nennen könnte; von Alfred Verwee, der
dem ersten Blick imponiert und der doch soweit dann
zurücksinkt, wenn man vor seinen Pferden und Kühen
an Gericault oder nur an Troyon denkt; von Evenepoel,
den man bei uns so gut wie Manet findet und der doch
nur wenig mehr ist als ein Gari Melchers-Temperament;
von dem Maler und Bildhauer Meunier, der Einem
immer akademischer erscheint, je öfter man seine Ar-
beiten sieht; von Rops, diesem unerträglich spitzen und
saftlosen Liferatengeist, der alles nur aus zweit er und drit-
ter Hand hat, selbst die Unanständigkeiten; von KnopfF,
dessen süsslicher Malkultur ganz die Renoirsche Tiefe
und dessen klimtischer Stiltendenz die Minnesche Naivi-
tät fehlt; von dem charaktervoll anglisierenden Eugene
Smits, dem präraffaelitisch manierierten Frederic, den
Puvisnachahmern Montald, Delviüe und Ciamberlani;
von einem Porträtisten wie Luden Wolles, der von den
Primitiven in den belgischen Museen erstaunliche Ge-
nauigkeit gelernt hat, und schliesslich sogar von dem
ganz modernen, sehr tüchtig pointillierenden Akade-
miker Rysselberghe.

Auch vorder belgischen Skulptur dieser Ausstellung
nimmt man ein Niveau wahr, das nie unter einen ge-
wissen Punkt sinkt, niemals aber auch sich zu ganz freier
Selbständigkeit erhebt. Man begegnet in einem Jüng-
lingskopf von Rousseau, zum Beispiel, einer Leistung,
deren antikische Grösse frappiert, sieht daneben dann
von demselben Bildhauer aber unoriginelleKunstgewerb-
lichkeiten; man steht vor den Arbeiten Jef Lambeaux'
ähnlich wie vor denen unseres Begas, bewundert aufs
Höchste die erstaunlich modellierten Einzelformen La-
gaes, ohne dass seine Büsten Einem psychologisch doch
viel sagten, geht mit kühler Achtung von Dubois fort,
und mit zwiespältigen Gefühlen von van der Stappen.
Man durchwandert die ganze Ausstellung eigentlich mit



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