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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 7.1909

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Heft 3
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Pauli, Gustav: Ein Bild von Corot
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https://doi.org/10.11588/diglit.4599#0109

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EIN BILD VON COROT

VON

GUSTAV PAULI

ebten wir im Jahre 1858, so würde ich den
pi^y Versuch machen, aus dem Anblick dieses
kleinen Meisterwerkes den Faden einer Erzählung
zu spinnen. So wollte es damals die Mode. Man
denke nur an die zweibändige Novellettensammlung,
die man aus den Bildern — und nicht einmal aus den
besten Bildern — der Dresdener Galerie abgezogen
hat. Beispielsweise würde ich berichten, wie die
reizende Madame de Chatrantier an einem schönen
Junitage des Jahres 1833 ihre Freunde zu einer
Matinee musicale in ihrem Hotel des Faubourg St.
Honrc geladen hätte, um ihnen von Manuel Garcia
die neusten Arien von Rossini vorsingen zu lassen,
und wie sie sich bei dieser Gelegenheit um ein
Haar in den Sänger verliebt hätte, wenn er nur
nicht grade eine gelbe Weste getragen hätte, die sie
nun einmal nicht leiden konnte. Oder ich hätte
zum mindesten nach einem Tagebuchblatt oder

einem Briefe einer liebenswürdigen und etwas sen-
timentalen Madame gesucht, um damit dieses Bild
dokumentarisch zu belegen. Ja — dass ich es nur
gleich gestehe —, im Grunde genommen thut es
mir leid, dass die Mode sich geändert hat, und dass
ich darauf verzichten muss, ein so persönlich erleb-
tes Stück Malerei durch ein analoges Stück Litera-
tur zu veranschaulichen. Nicht einmal die Legen-
den wage ich wiederzugeben, die die mündliche
Überlieferung mit den dargestellten Personen ver-
knüpft, und in denen etwas von Dumas pere und
Metternich vorkommt. Diese Legenden sind in
der That lächerlich und wir sind heute sehr ernst-
haft — namentlich wenn wir von Kunst reden. Wir
sind dabei sogar mehr als ernsthaft geworden und
finden es ganz natürlich, dass man im Tone priester-
licher Weihe von den allgemeinen Aufgaben und
Zielen der Kunst spricht und mit der nüchternen

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