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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 7.1909

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Heft 6
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Mackowsky, Hans: Schadows Büsten: aus Anlass der Berliner Schadowausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.4599#0278

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Ausgangspunkt und zugleich die Stärke der Scha-
dowschen Bildnerkunst. Das Studium des Physiog-
nomischen ist das Erste, was ihn bei seinen Monu-
mentaldarstellungen beschäftigt. Das anmutigste
Werk seines Meisseis, die Gruppe der beiden Prin-
zessinnen, ist gleichsam nur die Ergänzung zweier
Originalporträtbüsten zu ganzen Figuren. Von der
entzückenden lebensgrossen Genrefigur der Hoff-
nung erzählt der Meister selbst, wie seine erste
Intention war, nur das Por-
trät en buste der schönen
Friederike Unger zu ma-
chen, wie dann auf Ver-
langen des Modells selbst
die Arme hinzugefügt wor-
den, und wie endlich nach
mancherlei Unterbrechun-
gen die liebreizende Ge-
stalt in ganzer Figur voll-
endet wurde. Die leben-
sprühende Büste des alten
Dessauers war die erste
vorbereitende That zum
Denkmal des Fürsten auf
dem Wilhelmsplatz, und
auch von Luther wurden
mehrere Büsten gearbeitet,
ehe sich der Meister an
den monumentalen Auf-
bau der ganzen Gestalt
machte. Nur wo gute Vor-
bilder schon vorhanden
waren, wie von Zieten und
von Blücher, sehen wir
Schadow auf das eigene
Vorstudium verzichten.

In diesem primären
Interesse am Physiogno-
mischen, von dem ausser Gottfried schadow. goethe
seinen zahlreichen Zeich-
nungen auch seine 1835 erschienenen „National-
physiognomieen oder Beobachtungen über den
Unterschied der Gesichtszüge und die äussere Gestal-
tung des Kopfes" ein beredtes Zeugnis geben, ist
Schadow der echte Sohn seines Zeitalters. Erst in
unseren Tagen, wo aus sorgfältig verschlossenem
Besitz, aus verstaubten Schlossarchiven auch das
einst für die Öffentlichkeit nicht bestimmte
Schreibewerk der still sich an den eigenen Erin-
nerungen Wärmenden hervorgezogen wird, ahnen
wir den ungeheuren Umfang der Memoirenliteratur

mit ihren prägnanten Charakteristiken, die eine
hohe Vorstellung von der geistreichen Schärfe der
Beobachtung in den verschiedensten Kreisen geben.
Wir denken an die Kunst der alten Silhouetten-
schneider, unter denen sich gewiss mancher geist-
reiche Dilettant, manche geschickte Liebhaberin
befunden haben wird, und vergessen fast darüber
den unbeschreiblichen Eindruck von Lavaters
„Physiognomischen Fragmenten zur Beförderung

der Menschenkenntnis und
Menschenliebe", die unbe-
schadet der witzigen Pole-
mik von Lichtenberg in
einer mit Zusätzen erwei-
terten französischen Aus-
gabe (178 1 — 85) einen
nur gesteigerten litera-
rischen Erfolg erlebten.

Ist demnach Schadows
Vorliebe für das Porträt ein
Typisches, das ihn mit sei-
nem Zeitalter verknüpft, so
ist seine Auffassung und
bildhauerische Darstellung
ein höchst individuelles
Verdienst, mit dem er aus
den Traditionen seiner Zeit
heraustritt, ja in der unbe-
irrbaren Sicherheit des eige-
nen starken Gefühls ihnen
widerstreitet. Zwar rühmt
Schadow, wozu er sich
sonst nicht leicht ent-
schliesst, die „meisterhaf-
ten Büsten nach dem Le-
ben", die sein Lehrer Tas-
saert gemacht habe. Dies
hohe Lob kann aber nur
zutreffen für die impres-
sionistisch keck und leicht
behandelte Thonbüste des alten Zieten, die in der
Lebhaftigkeit ihres Ausdrucks ziemlich vereinzelt
dasteht. Schon die beste der mir sonst von Tassaert
bekannten Büsten, Moses Mendelssohn zeigt mit dem
stechenden Blick und dem leicht geöffneten Munde
einen krampfigen Realismus, der dem Weichen und
Liebenswürdigen des Rassekopfes nicht gerecht
wird. Bis zur Starrheit geht der Ausdruck dann
in der Büste Friedrichs des Grossen. Und sollte
diese auch nur eine Werkstattarbeit sein, so zeigen
doch die Porträts von Seidlitz und Keith auf dem

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