ARTHUR ILLIES, GANG IN DIE KONTORE
AUSGEST. BEI COMMETER, HAMBURG
sage, dass das Gesetz des Raumes das Alleinherrschende
ist, wenn ich hinzufüge, dass die Ansicht der Ebenen,
der Berge, der Perspektive einer Landschaft in mir die
Prinzipien von Flächen wachruft, die ich in meinen
Statuen verwerte, dass ich das kubische Gesetz überall
fühle, dass die Fläche, das Volumen für mich das.Grund-
gesetz alles Lebens, aller Schönheit bedeutet—, wird
man dann noch sagen, dass ich Symbolist, Verallge-
meinerer, Metaphysiker bin? Mir will scheinen, dass
ich Realist, Bildhauer geblieben bin. Eine Einheit ist
es, die mich umdrängt und die mir überall entgegen-
treibt." Was Rodin meint, stammelnd meint, weil man
für solche ganz auf Anschauung beruhenden Dinge nie
das ganz treffende Wort findet, das ist die ewige, un-
erschöpfliche Musik des Raumes, auf deren Wogen wir
dahintreiben, ist jene Entzückung, die nur der Tastsinn
des Auges vermitteln kann, ist jenes nur sinnlich instink-
tiv zu begreifende Leben der Entfernungen, der Formen,
der organischen Schwellungen und der Verhältnisse,
die Romantik des Kubischen, die Dramatik der Flächen-
neigungen, die Mystik der Linien: kurz, die orphisch
tiefe Gewalt der Raumdimensionen, die darzustellen
die eigentliche Arbeit aller grossen Künstler, von
Michelangelo bis Rodin, von Rembrandt bis Leibl, von
Tizian bis Manet war. Die Seele des Raumes darstellen,
das erst heisst für den bildendenKünstler die eigene Seele
darstellen können. Und dieseFähigkeitebenfehltKlinger.
Er hat sich offenbar bemüht, im Brahmsdenkmal etwas
raumhaft „Richtiges", etwas skulptural Einwandfreies zu
geben. Der „richtige", der gedachte Raumbegriff (siehe
Hildebrand und sein „Problem der Form") aber ent-
scheidet nicht die Wertfrage; worauf es ankommt, das
eigentliche Objekt der Kunst ist die Gestaltung des ur-
sprünglichen, leidenschaftlichen, visionären, erlebnis-
starken Raum- und Flächengefühls. Dieses zu können,
ist recht eigentlich erstTalent. Aber eben darumist es auch
nicht zu erwerben, sondern ist Gnade. Klinger hat einmal
geschrieben, der „Gedanke" des Bildners sässe in der
Spitze seines Werkzeugs. Ein schöner und wahrer
Ausspruch. Nur trifft er recht wenig gerade auf Klin-
gers Plastik, auf dieses Denkmal zu. Das Werkzeug,
das den Brahms gestaltet hat, war leblos, so bewegt
vielleicht auch der Geist des Bildners bei der Arbeit
war. Es hat alles Einzelne naturalistisch wahr — ach,
uar zu naturalistisch! — gemacht und das Ganze aka-
demisch richtig; aber es hat nicht Wollust in der
Gestaltung des Räumlichen empfunden, es ist nicht
schöpferisch gewesen wie etwa Leibls Pinsel, Schadows
Meissel oder Liebermanns Zeichenstift. Dieses Werk-
zeug hatte nicht den Willen, die Linien und Formen, das
will sagen: die Kräfte und Bewegungen, zuerst um ihrer
selbst willen darzustellen, sondern es ist der kalte Diener
eines reich dekorativen, poetischen Denkereinfalls ge-
wesen. Es hat aus der Riesenplastik eine in Marmor über
setzteRadierung gemacht. Klinger begreift und beherrscht
vollkommen jede Einzelform, seine manuellen Fähig-
keiten sind gross und schrecken vor keiner Schwierigkeit
zurück, er hat alles Erlernbare. Und hinter all diesem
Können steht als bewegende Energie eine wahrhaft stark
und tief denkende Menschlichkeit. Aber diesem Künstler
fehlt der natürliche, angeborene Sinn für das Wunder der
Form, für jenes ungeheure Leben der plastischen Wirk-
lichkeit, das wie ein „latenter Heroismus" in aller Be-
wegung, in aller Naturform steckt. Im Balzac und Victor
Hugo Rodins ist etwas vom Urgebirge. Der Brahms
Klingers, der diesen beiden Werken ein wenig nachge-
bildet ist, erscheint dagegen künstlich. Nicht an die
„Flächen" hat Klinger zuerst gedacht, sondern an die Be-
deutung Brahms als Musiker, Temperament und Ge-
stalter. Hier ist der Punkt bezeichnet, wo Klinger immer
wieder versagt. Selbst das Werkzeug des im heutigen
Deutschland in seiner Art einzigen Radierers, dessen
Fülle doch staunen macht, lässt räumlich empfindende
Sinnlichkeit vermissen. Die in unendlichem Bedeutungs-
reichtum glitzernden Radierarbeiten dreier Jahrzehnte,
die an Baluschek und Menzel, an Goya, Böcklin, Preller
und manchem Anderen noch denken lassen, worin thea-
tralische Zuspitzungen sind, philologische Phantasmen
und kapriziöse Zierlichkeiten, eine Erotik ohne Glut, eine
Geistreichigkeit ohne Gedankenblässe, eine ganz seltene
Allegorisierungskunst, ein mächtiges modernes Welt-
empfxnden und ein erstaunlich erzogenes Können: auch
ihnen fehlt fast immer jene mystische Tiefe, aus der
bleibender Genuss erst heraufsteigt, wenn die pracht-
volle, novellistische Fassung der Lebenssymbolik von den
Blättern abgelesen und genossen worden ist. Es bleibt,
wenn man den „Gehalt", die wirklich grosse Bedeutung
genossen hat, selten nur von jener Schönheit ein ge-
nügender Rest, die über aller Deutung, und eben
darum ewig ist.
In Klingers Werk selbst ist jene olympische Tragik,
die er so gerne darstellt. Bei leidenschaftlichem Schöpfer-
wollen keine Schöpfersinnlichkeit. Vielleicht ist es eben
der Adel dieser Tragik, dass wir von Klingers Werken, zu
denen wir so oft nein sagen müssen, immer doch wieder
mit Dankbarkeit und mit sehr bescheiden stimmender
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