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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 7.1909

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Heft 10
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Scholz, Wilhelm von: Gespräch über Baukunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.4599#0481

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brettern die Formen des Steinmaasswerks im Spitz-
bogen verwendet waren: ein Zusammenfliessen der
spielenden Flächenteilung zur Ruhe des aufgelagerten
Randes. „Sie haben hier schöne Belege für Ihren,
mir früher ausgesprochenen Gedanken, dass in Zeiten
starker Baukunst die Formen des Steins, entgegen
dem Materialgesetz, die Formen aller architek-
tonischen Gegenstände durchdringen".

Er hörte nicht darauf, sondern blieb an Ab-
bildungen schöner alter Innensäulen haften, die
hinter einer grossen Fensterreihe als Stützen standen
und die fehlende Wand ersetzen mussten. „Hier
hat das Licht gebaut und hat die Fassade nach innen
verdrängt. Diese Säulen und Pfeiler, die notwendig
wurden, weil die breite Glaswand nicht trägt, haben
völlig eine nach innen gewandte Fassade ergeben."

„Solcher Beziehungen hat der Verfasser manche
angedeutet. Ich kenne das Buch genau, habe auch
die Kapitel, die Organisation und Rechtssatzungen
des Bauwesens in der Stadt betreffen, studiert, und
gewann den Eindruck, dass hier nichts übersehen,
über nichts flüchtig hinweggeglitten ist; dass der
Verfasser überall den Sinn eines Momentes gefunden
hat, den baulichen, wie bei diesen Decken, diesen
Pfeilern, diesen Treppenanlagen, das Beruhen im
Konstruktiven oder im Dekorativen wie bei diesen
gemalten Fassaden, diesen gelagerten Gesimsen, und
den des Lebens dahinter, das sein noch ungestaltetes
Verlangen an die Baukunst stellte. Das wollte diese
einspringenden Ecken, diese Erkerchen, um die
Strasse zum Markt hin entlang zu sehen und am
wichtigsten Geschehen teilzuhaben, brauchte diese
Steinlauben als vor Sonne und Regen geschützte
Verkaufsstände, diesen luftigen Dachbruch im alten
Gerberhause, auf dessen Trockenboden die gegerb-
ten Felle im Zugwind hingen. Und all die anderen
wiederkehrenden Grundformen. Hier diese breiten
Fenster des Erdgeschosses waren ehedem offene
Läden. Das Wort Laden als der in horizontalen
Zapfen sich drehende herabgelassene Fensterladen,
auf dem tags ausgelegt wird; der nachts herauf-
gezogen das Warengewölbe schliesst. Flier wird
eine sprachlich erhaltene Sachbezeichnung klar." —

Schweigendes Blättern. Dann schlug ich rasch
zwei getrennte Bilder auf, dass sie in unserem An-
schauen einander berührten: „Welche Entwickelung
des kulturellen Lebens spricht aus dem Gegensatz
des freundlich einladenden spielenden 'Fürschmucks
an diesem hellen Rokokohaus und der schweren

rauhgearbeiteten, sandsteinernen Tür- und Fenster-
umrahmung, in deren Leibung unbeholfene Stein-
metzhand strenge Cäsarenköpfe meisselte, hier an
dem Renaissancebaus „zur Leiter", das alle Fenster
mit starken Schmiedegittern sperrt. Heinrich rihin-
ger, der von Karl V. Venezuela als Lehen erhielt,
baute seinen städtischen Palast mit diesem abweisen-
den Trotz gegen die damals protestantische Stadt".

Der Architekt schlug das Buch zu und sagte
lächelnd: „Dieser geschichtlich dramatische Ge-
danke erfüllt Sie nun und lenkt Sie von unserem
Gespräch über Baukunst ab". Er hielt das Buch,
auf dessen Decke das wie ein grosses rundes
Siegel, von Sattlers Hand streng stilisierte Bild des
Kaufhauses mit anfahrenden Lastkähnen betrach-
tend, noch in der Hand, Hess es auf den Tisch
gleiten, schob es zurück und sagte: „Es ist schön,
dass hier nichts von Kirchen steht, für uns, die wir
wie Solness keine Kirchen mehr bauen können,
sondern Heime für Menschen bauen, will sagen
Mietshäuser oder Vorortvillen. Ein Kaufhaus, ein
Kornspeicher, als Wappen — und Bürgerhäuser als
Inhalt. Ich glaube fest, dass unsere moderne Bau-
weise, nicht so verelendet wäre, wenn die Archi-
tekten nur die alten Gebäude studiert hätten, die
auch wir noch brauchen. Die Kirchen und grossen
Paläste haben sie verdorben. Hätten Sie das Haus
gekannt, es hätte so schlimm nicht kommen können.
Ich freue mich über das Buch. Ich kannte vielleicht
alles Einzelne darin, seiner Art nach, längst. Aber
wie es hier zusammensteht, alle Baugedanken in ört-
licher Verwandtschaft gebunden, ist es mir zu neuer
Synthese geworden und zeigt mir ein Ziel: so
schlicht, so echt, so dem Ganzen dienend zu werden,
wie es diese alten Baumeister waren, unauffällig
tüchtig zu sein und unauffällig Schönes zu schaffen,
das sich nicht dem ersten Blick hingiebt aber dafür
auch dem zehnten noch ruhig standhält. Mir ist
unser Rundgang jetzt, nun ich dies Buch gesehen
habe, reicher und eindrucksvoller geworden". —

Wind hatte eingesetzt und den sich kühlenden
Abendhimmel klargefegt. Wir stiegen auf eine
nahe Flöhe, von der wir auf das unter dem Dämmer
liegende Konstanz niedersahen, und seine Gestalt
umfassten. Was wir an Gebäuden auf unserm
Rundgang betrachtet, was wir im Häuserbuche
blätternd gefunden hatten, Bilder und Gedanken,
das lag nun wieder weit von uns, lag dort drüben,
umschlossen von der dunklen ruhenden Stadt.
 
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