Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 8.1910

DOI Heft:
Heft 1
DOI Artikel:
Carrière, Eugène: Skelette: der Mensch als Deuter der Wirklichkeit
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3548#0036

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MAX L1EBERMANN, DIE SCHMIEDE

SKELETTE

DER MENSCH ALS DEUTER DER WIRKLICHKEIT

VON

EUGENE CARRIERE

es Menschen Phantasie erglüht bei
der Berührung mit der Natur. In-
dem er die Wirklichkeit deutet,
unternimmt er es, sein eigenes Wesen
zu entdecken. Die schöpferische
Phantasie offenbart sich in dem un-
ablässigen Streben, uns Rechenschaft zu geben
von unserm Verhältnis zur Natur, von unserer
Stellung innerhalb der Natur und von der Be-
deutung unseres Daseins, inmitten von so vielen
Lebewesen. — Wo könnte diese Phantasie eine
günstigere Gelegenheit finden sich zu entfalten als
indem sie vor den unendlich vielgestaltigen Formen
des Skelettes das Leben von neuem,wachruft!

Das Skelett ist der greifbare Beweis für die
Kontinuität der Formen, für die Logik in der Welt.

Nichts ist hier dem Zufall überlassen; alles ist
vorbereitet. Das Ganze ist zu vollkommenster
Harmonie ausgebildet, so dass nichts sich daran
ändern lässt. Eine vollkommene Synthese in einer
einzigen Kreatur ist sichtbar in jedem Skelett, dem
vollkommenen Ausdruck der wahren Schönheit.

Jedes Glied ist dem Charakter des Ganzen ent-
sprechend geformt, gedrungen oder langgestreckt,
je nach der Gestalt der Tiere. Alle diese unbeweg-
lichen Formen lassen die einstmaligen geschmei-
digen Bewegungen der Glieder ahnen. Jeder Knochen
nimmt die Form des vorausgehenden Knochens

i6
 
Annotationen