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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 9.1911

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Heft 1
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Muthesius, Hermann: Das deutsche Kunstgewerbe in Brüssel
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https://doi.org/10.11588/diglit.4706#0064

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DAS DEUTSCHE KUNSTGEWERBE IN BRÜSSEL

VON

HERMANN MUTHESIUS

as deutsche Kunstgewerbe be-
findet sich auf der Suche nach
dem Ornament. Schon lange
glaubte man, dass der letz- |
ten ornamentlosen Zeit bald
wieder eine ornamentfreudi-
gere folgen würde. Diese
Zeit scheint heute anzubre-
chen. In Brüssel sehen wir in
den Zimmern der deutschen Abteilung überall Ornament-
knospen treiben. Von den verschiedenstenRichtungenaus
sucht man sich dem Problem, Ornamente zu machen, zu
nähern. Natürlich ist das Jugendstilornament von 1900
heute unmöglich, sowohl das der naturalistisch-pflanz-
lichen Art als das der geschwungenen Linie. Man ver-
sucht dafür anderes; Einige komponieren ein indivi-
duelles Ornament aus den Resten der Akanthustradition,
Andre machen nordische Anleihen, wieder Andre ent-
wickeln Formen aus der Schnitztechnik. Die meisten
greifen aber einfach zurück auf die letzte Zeit, in der
man noch ornamentierte Möbel machte, vor allem auf
die Jahrzehnte zwischen Biedermeier und Deutsch-
renaissance. Es sind in Brüssel Möbel ausgestellt, die
sich aufs engste an die missverstandenen Stilreproduk-
tionen jener Epoche anlehnen, einer Epoche, die wir
bisher mit völliger Einstimmigkeit als die scheusslichste
von allen erklärten. Soweit reicht die Verlegenheit, die
durch die Aufgabe erwachsen ist, Ornamente zu machen!
Niemand scheint dazu mehr recht in der Lage zu sein.
Ist der Sinn dafür erstorben, die Tendenz unsrer Zeit
überhaupt ornamentfeindlich? Oder haben wir uns des
Ornaments nur zeitlich entwöhnt?Jedenfalls ist der Ge-
samteindruck desOrnamentsuchensinBrüsselkein erfreu-
licher. Wirhätten bessergethan, dieGewaltsamkeiten nicht
vor dem Auslande auszubreiten. Solange eine Klärung
im Inlande noch nicht erfolgt ist, wäre es richtiger gewesen,
sich mit dem ornamentlosen Möbel zu begnügen, das wir
jetzt in Deutschland zu gestalten gelernt haben. — —

Anders als beim plastischen liegen die Verhältnisse
beim Flächenornament. Hier ist das Problem einfacher,
auch ist die Tradition hier nie unterbrochen gewesen.
In den Werken der Textilkunst, in Teppichen, Stoffen,
Stickerein, in Vorsatzpapieren sehen wir in Brüssel viel
frische, gute Sachen. Eine reiche Ausbeute hat für alle
Gebiete die neuerlich eroberte Volkskunst geliefert.
Die Ungebundenheit des bäurischen Blumenornaments
kommt dem gegenwärtigen Mangel an Stilinstinkt zu-
statten, das Farbenspiel ist stets erfrischend und so ist
dieser Erwerb, der dem heutigen Flachornament fast

sein Gepräge giebt, sicherlich als ein Gewinn zu be-
trachten. Aber ist es nicht merkwürdig, dass wir auch
hier wieder auf Anleihen zurückkommen, und dass wir
diesmal als Borger bei der untersten Schicht Derer an-
gelangt sind, die in der dahingegangenen Epoche noch
schaffend wirkten?------

Am kräftigsten hat die neue Bewegung in der so-
genannten Buchkunst eingesetzt. Wir sind mit einem
Schlage in die Reihe der Nationen gerückt, die hier
Liebhaberwerte pflegten. Die deutsche Buchgewerbe-
ausstellung ist glänzend; höchster Geschmack beigrösster
Gediegenheit. Eine ganze Reihe von Verlegern fühlt
die Kultur Verpflichtung, nur das denkbar Beste zu
liefern. Die letzten Schrifttypen, die unsre Schrift-
giessereien auf den Markt gebracht haben, sind edel und
klassisch; der leidige Buchschmuck, der um 1900
herrschte, ist völlig verbannt; man hat eingesehen, dass
statt des Schmuckes die Sache selbst, das ist das gedruckte
Seitenbild als Urzelle und das gebundene Buch als Ganzes
genug ist, um, in denkbar anständigste Form gebracht,
„künstlerisch" zu wirken und uns zu entzücken.------

Vielleicht präsentieren wir uns in Brüssel am
nettesten in all den tausend kleineren Dingen, die dort
die Lücken zwischen der anspruchsvolleren Raumkunst-
ausstellung und den anschliessendenSonderausstellungen
ausfüllen und die da sind: Keramik, Gold und Silber,
Metallgerät, Stickereien, Lederarbeiten, Kissen, Klein-
gerät wie Täschchen und Kästchen, Plaketten, Schmuck-
sachen (die sehr ansprechende Ausstellung hat leider mit
ungenügend beleuchteten Gängen und Kojen verlieb
nehmen müssen). Hier können wir feststellen, dass wir
wirklich zu einem geläuterten Geschmack vorgedrungen
sind, dass die angestrengte Reformarbeit der letzten
fünfzehn Jahre nicht vergeblich gewesen ist. Handels-
politisch scheint gerade dieses Gebiet sehr wichtig, denn
solche kleineren Sachen werden, wenn sie geschmack-
voll sind, auf der ganzen Welt gekauft, während wir für
unsere Zimmerausstellungen sehr viel weniger Ab-
nehmer finden. Allerdings bewegt sich unser Klein-
kunstgewerbe, um wirklich in der Welt an erste Stelle
zu treten, noch immer etwas zu sehr auf der billigen
Linie. Das, was in Brüssel ausgestellt ist, ist natürlich
mit der Exportware von ehemals nicht im entferntesten
zu vergleichen, aber es befriedigt vielleicht doch noch
nicht die Ansprüche des Liebhabers. Man braucht
sich nur der Kostbarkeiten Laliques zu erinnern, um zu
wissen, was geleistet werden muss, um die höchste
Marke zu erreichen.------

Worin sich aber die deutsche Ausstellung von allen

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