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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 9.1911

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Heft 3
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Scheffler, Karl: Henry van de Velde und der neue Stil
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https://doi.org/10.11588/diglit.4706#0132

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ARISTIDE MAILI.OL, SKULPTUR VOR DEM HAUSE OSTHAUS

Die eigentlich ehrenvollen Aufträge kommen van
de Velde aus Hagen, aus Berlin, Chemnitz oder von
sonstwo aus dem Reiche. In Weimar giebt es von
seiner Hand nur ein einzigstes ganz charakteristisches
Werk: sein eigenes Haus. Denn das von ihm er-
baute neue Kunstschulhaus ist ein relativ einfacher
Nutzbau, woran höhere Bildungskrüfte nicht Teil
haben. Und ein Werk wie der seinerzeit in Dresden
ausgestellte Museumssaal, der nun wirklich einmal
eine van de Veldes würdige Aufgabe gewesen wäre,
ist nicht zur Ausführung gekommen. Von Jahr zu
Jahr zeigt es sich darum mehr, dass das Leben in
Weimar dem Künstler eine Fessel ist.

Und weil es eine äusserliche Fessel ist, so wird
es auch innerlich dazu. Die natürlich gegebene

Problematik wird ver-
stärkt, die gefährliche Iso-
lierung, die sich aus einer
ganz besonderen Lage er-
giebt, verschärft sich, und
van de Velde erscheint um
so mehr nur als ein Frem-
der. Der Belgier besinnt
sich, wie zum Trotz, immer
neu auf die romanisch gal-
lischen Elemente seiner Na-
tur, und entfremdet sich so
dem deutschen Wesen, wo
ihm und uns Allen daran
liegen müsste, dass seine
Art sich uns untrennbar
verbindet. Er sieht sich
von einem kleinen Kreis
unbedingter Bewunderer
umgeben, die sich von sei-
ner Persönlichkeit soweit
unterjochen lassen, dass sie
mit demBelgierin Deutsch-
land nur noch französisch
sprechen und -französisch
denken und durch solche
falsche Hingabe die Iso-
lierung vom nationalen
deutschen Leben noch wei-
ter treiben. Von van de
Velde ist es zweifellos eine
Schwäche, wenn er die Ge-
fahren solcher tendenzvol-
len Exklusivität, abgesehen
von der Unklugheit, die
darin liegt, nicht einsieht.
Denn er lässt so das Element seines Wesens gross
werden, das ihm das gefährlichste, das femininste
und darum verführerischste ist: das Element des
Artistischen, den Snobismus. Als Belgier und der
seltsamen Anlage seiner Begabung nach, befindet
sich dieser seltene Mann von vornherein in so pre-
kärer Situation, er ist durch die Vernachlässigung,
die er in Weimar erlebt, schon in einer so gefährlichen
Spannung, dass die Bekräftigung von Artisten-
neigungen seiner grossen, der Zeit gehörenden Be-
gabung, notwendig Abbruch thun muss. Auch
für solchen Ästhetenkult ist van de Velde zu gut.
Durch die innere Anerkennung seiner nicht befrie-
digenden äusseren Lage, die in solchen geschmack-
voll abgerundeten, exotisch gefärbten Uberkultur



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