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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 10.1912

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Heft 1
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Kunstausstellungen
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UNSTAUSSTEL LUNGEN

MÜNCHEN
Für die durchschnittliche Qualität
der in der „Jubiläums-Ausstellung der
Münchener Künstlergenossenschaft'1 im
Glaspalast aufgehängten Bilder ist es
charakteristisch, dass das Fehlen des Saales mit den milde
blickenden Bildnissen Fritz August Kaulbachs, wir wollen
sagen, ebenso unbequem empfunden wird wie das uner-
wartete Ausbleiben der Morgenzeitung, deren Inhalt die
täglich notwendige Entrüstungspurganz bedeutet. Man
konnte sich früher auf den echten Renaissancemöbeln
Lenbachscher Herkunft so behaglich schmunzelnd zu den
Begeisterungsrufen der Anderen in Gegensatz stellen.
Soll das nun vorbei sein?! — Das Erbe Lenbachs, von
Kaulbach ähnlich gehütet wie Bismarcks Erbe von des-
sen Nachfolgern, darf nichtzueinemSaalvonVielenwer-
den, und das ist es geworden, obwohl man eben Alois
Erdtelts, des Diezschülers, Nachlass an die Wand hängte,
wo wir den täuschenden Spiegel wiederzufinden ge-
wohnt waren. Sehr merkenswert, dass das Aufgeben
eines konservativen Prinzips im Glaspalast sogleich stö-
rend wirkt, und für das Verhältnis der Allgemeinheit zu
den unerwarteten genossenschaftlichen Neuerungen ist
Goethes Wort „Was ich besitze, will ich gern bewahren,
der Wechsel unterhält, doch nützt er kaum" bisher, lei-
der oft im negativen Sinn, Motto geworden.

AloisErdtelt ist damals unter jenen Schülern Wilhelm
Diezens genannt worden, die sich wie Duveneck, Scha-
chinger und sogar Gysis zum Frohndienst der Publikums-
malerei wandten, als ihr eigenes bescheidenes Künstler-
träumen über der sezessionistischen Bewegung ein Ende
fand. Wir können die Wandlung an zwei Selbstbildnissen
des Künstlers erkennen — der jähe Verzicht hat dem
romantischen Jüngling ernste Furchen ins Antlitz ge-
graben, die später der solide Porträtmaler als Anklage
gleichsam in schweren Schatten heraushebt. Wenn man
lange Jahre diese Nachlassausstellungen der eben aus-
sterbenden Münchener Malergeneration betrachtet hat,
kommt man zu einer neuen Aufstellung, zur Zusammen-
schließung einer Gruppe von Künstlern, die man mit
Rücksicht auf ihre höchste Qualitätsleistung, „die um
Defreggers Almwiese" nennen könnte. Klare Erkennt-
nis des malerischen Landschaftsbegriffes im Streit mit
einemRestTannenduftromantik,beimStreben nach einem
malerischen Landschaftsmotiv. An die Münchener Land-
schaftsschule der Schleich und Lier fügt sich ein nicht
unansehnlicher linker Flügel. Schade dass er so rasch
gesprengt wurde.

Ist nun Erdtelt ein wackerer Landsknecht in dieser
kleinen Schar, darf LudwigWillroider im Hauptfähnlein
als trefflicher Hauptmann gerühmt werden. Auch er
ist jetzt hinabgestiegen zu den Mehreren und der Anruf,
dass er Eduard Schleichs Erbe gut gewahrt habe, mag ihm

dort und hier als Empfehlung gelten. Der Maler Will-
roider ist freilich furchtsamer, man darf sagen, dass er als
Landschafter die romantische Wünschelrute, die Schleich
immer loswerden wollte und die Lier in Dupres Gärtchen
begrub, in andächtiger Stimmung wieder aufnahm und
schwang. Feinheit der Malerei, Durchsichtigkeit der
Luft, absichtliche Gruppierung des Bildes bei Willroider
knüpfen da an, wo Schleich sich freimachte, bei den alten
Holländern. Trotzdem sieht man sich in den übrigen, all-
zuvielen Sälen des Glaspalastes vergebens um nach einen
so einheitlich gründlichen und liebenswürdigen Malers-
mann, dessen versonnenes Dichten die Schüchternheit
seines Talentes als kluge Bescheidenheit erhebt.

Leider kann man von den übrigen Nachlassausstel-
lungen nicht das Gleiche sagen. Der Genremaler Baer
und der Porträtmaler Pernat haben niemals gerungen
und gekämpft, wenn sie auch ehrlich gemalt haben.
Auch hat dieser letzte an manchem bedeutenderen
Menschen sich versuchen können — „den Funken
haben sie beide nicht", wie Hauptmann sagt. Unter
den vielen übrigen Bildern hebt nur selten einmal eines
oder das andere den Kopf über den Nachbarn heraus.
Auch die Luitpoldgruppe und der Künstlerbund
„Bayern" — dem Urban und Geffcken immerhin eine ent-
schiedene eigenartige Sonderstellung geben — scheinen
vor Wagnissen zurückzuschrecken. Vieles Brauchbare,
manches Ansprechende, besonders unter den Land-
schaftern, der obligate Bauernhumor mit und ohne
Anekdote, sehr viel orientalischer Bazarbetrieb, auf-
fallend schlechte Porträts. So stellt der Inhalt des
diesjährigen Glaspalastes sich zusammen. Über das
gewohnte Maass steigt die Plastik, die verheissungsvoll
durch einige jüngere Künstler vertreten ist. Und da
die „Scholle" (wie immer im Glaspalast) den eisten Be-
such erwartet und erhält, sei endlich über ihre recht
grosse Ausstellung gesagt, dass sich wiederum Püttner
als sicherster Könner, wenn auch jetzt ebenfalls mit
einem allzu starken dekorativen Strich, Putz als das
höchste Talent der vielgepriesenen Gruppe offenbaren.
Ihre Meister besitzen nun einmal den Fehler, Plakat-
wirkungen für grosse Kunst zu halten.

Die Sommcrausstellung der Sezession leidet in diesem
Jahre mehr denn je daran Verkaufsausstellung zu sein.
Es ist zweifellos, dass die Einbringung von auswärtigen
Bildern, einerlei ob sie vorzüglich oder miserabel gemalt
wären, der fördersamen Einheitlichkeit recht schadet,
wenn diese Werke Arm in Arm mit Münchener Ge-
nossen gehängt werden. Wir haben an den Malkästen
Isarathens bestimmte Atelierrezepte, deren sich gerade
solche Herren am ausgiebigsten bedienen, die von aus-
wärts „herein schmecken". Mag man nach diesemRezept
alt meisterlich, oder im Sinne der „Scholle", oder sezessio-
nistisch kochen - der Begriff des Rezeptes bleibt. Woher

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