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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 10.1912

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Heft 4
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Corinth, Lovis: Wilhelm Leibl's "Wilderer"
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https://doi.org/10.11588/diglit.4707#0225
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Sehen wir uns im allgemeinen diese Art Kunst-
zertrümmerung an.

In den früheren Jahrhunderten fielen die Kunst-
werke der Vernichtung anheim durch Natur-
gewalten oder durch Zerstörungswut aufgeregter
Menschenmassen. Unsrer Zeit blieb es vorbehalten,
dass der Künstler Hand an sein eigenes Werk legt.
Im voraus sei gesagt, dass Malereien auf Holz der
Zerkleinerung nicht so ausgesetzt sind, da dem Ma-
terial nicht so einfach beizukommen ist, wie der
Leinwand. Warum gerade heute diese Zerstörungs-
wut grassiert, wird wohl immer ein Rätsel bleiben.
Dass die Maler verflossner Jahrhunderte länger und
intimer an einem Werke schafften und ihnen dieses
darum lieber wurde als uns Modernen und dass es des-
halb vor eignen Angriffen geschützter war, ist auch
nicht stichhaltig. Gerade Leibl war ein leidenschaft-
licher Arbeiter. Er ging in dem Kunstwerk, was
unter seinen Händen war, vollkommen auf und ar-
beitete, was allgemein bekannt ist, Jahre lang daran.
Bei dem Abschluss eines jeden Werkes pflegte er
zu sagen: „Das ist das Allerbeste, was ich noch ge-
macht habe." So drückte sich in ihm das Hoch-
gefühl, die Freude und die Hoffnung aus, wieder
einen Fortschritt gemacht zu haben. — Und Leibl
war ein Virtuose in der Fragmentierung seiner Bil-
der. Man könnte diese Sucht als Manie bezeichnen,
wenn Leibl nicht durch seinen lauteren Charakter

zu hoch über solchen Verdächtigungen stände. Nicht
allein die Wilderer sind von ihm parzelliert worden,
auch andere seiner Bilder haben dasselbe Schicksal
gehabt. In vielen Ateliers seiner Freunde konnte
man solche Rudimente aus seinen Bildern finden:
Trübner hatte ein Paar schöner weiblicher Hände
aus einer Porträtstudie, Grönvold besitzt Stücke aus
Miedern mit silbernem Bauernschmuck, ein Stück
Schürze, Gesichtsteile usw. In der ersten Ausstel-
lung der Berliner Sezession war eine ganze Kollek-
tion dieser „beaux restes" vereinigt. Leibl hatte
wohl die schärfste Selbstkritik und fortwährende
Beobachtung seiner selbst. Dazu kam - wie schon
oben erwähnt — das „offne" Urteil „wahrhaftiger"-
Freunde. Es erwuchs daraus die Zweifelsucht und
nicht zum geringen Teil jener merkwürdige Hass
gegen das eigene Werk. Man findet ein Stück aus
solchem angezweifelten Bilde besser als alles übrige
herum, der Gedanke wird einem vertrauter und
bald ist die That geschehen. Da man nicht mehr
aufbauen kann, bricht man die mit so viel Mühe
und Leidenschaft geschaffene Arbeit wieder ab.

Ist nun, wie ich bereits sagte, in unserm Leben
das meiste zu verschmerzen, so ist doch diese eine
That Leibls, die der Nachwelt „die Wilderer"
raubte, eine ewig beklagenswerte.*)

*) Ein weiterer Artikel über „zerstörte Kunstwerke" folgt.

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