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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 10.1912

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Heft 5
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Wenzel, Otto; Vermehren, August: Die Arbeitsweise Michelangelos
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https://doi.org/10.11588/diglit.4707#0261

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DIE ARBEITSWEISE MICHELANGELOS

VON

OTTO WENZEL
UND BILDHAUER AUG. VERMEHREN

!

i

ie vier unvollendeten Giganten
Michelangelos, die früher in der
Grotte des Boboligartens halb
verborgen waren und jetzt mit
dem Matthäus und dem sieg-
haften Genius in der Galerie
alter und neuer Meister in der
Vorhalle zum David zu be-
quemer Betrachtung aufgestellt sind, gaben Vasari
und Cellini dazu Veranlassung, auf Michelangelos
neue Technik der Marmorplastik hinzuweisen, die
gegen die damals übliche Methode erheblichen
Fortschritt bot.

Vor ihrer Einmauerung haben sie schon ein-
mal Kunstjüngern Gelegenheit gegeben, die un-
gewöhnliche Arbeitsweise Michelangelos zu stu-
dieren. Die vier Gefangenen und der sieghafte
Genius waren für das Grabmal Julius II. bestimmt,
sind von Michelangelo in seinem Atelier in Florenz,
das er am 14. Juli 1 51 8 in Via Mozza erwor-
ben, geschaffen und bei seinem Verschwinden aus
Florenz vorgefunden worden. Sie wurden damals
auf besonderen Wunsch des Herzogs Cosimo I. in
der Akademie als Muster aufgestellt. Nach Brock-
haus Deutung stellen die vier Gefangenen die in
der Sünde Gefesselten am Lebensende dar, für
welche die Sterbegebete Erlösung erflehen; der
sieghafte Genius bedeutet den Sieg über den Tod.
Über Michelangelos Schaffen, das selbst seinen
Zeitgenossen häufig ein Rätsel war, haben schon
viel berufene Federn geschrieben. Wir haben nicht
den literarischen Ehrgeiz, alle Urteile hier aufzu-
führen, wir wollen der Arbeit des Meisters tech-
nisch nachgehen.

Was Bayersdorfer* über Michelangelo sagt,
das scheint direkt an den Giganten beobachtet,
nämlich, dass er offenbar keine Modelle in der
Grösse des auszuführenden Werkes mache, sondern
mit Hülfe einer kleinen Ton- oder Wachsskizze,
ja manchmal ohne eine solche, direkt aus dem
Block sein plastisches Gebilde herauszuschlagen
suche, wobei sich manchmal der Steinumfang als
unzulänglich erweise und dadurch die Vollendung
der Figur in Frage gestellt werde.

Nach Justi** ist Michelangelo von der Malerei
und dem Relief zu seiner eigentümlichen Technik
der Marmorplastik gekommen, denn er begann das
Herausholen der Statue aus dem Blocke von der
Vorderseite, unter einem Ansichtspunkte — die
Neuerung, von der Vasari spricht, und die Cellini
gegenüber dem anderen Verfahren, von allen Seiten
an die Figur heranzugehen, als dasjenige hinstellt,
bei dem man dem Verhauen sicher entgehe.

Gottschewski*** legt Cellinis Mitteilung, wo-
nach Michelangelo später grosse Modelle vorge-
zogen habe, nach denen er ihn selbst in San Lo-
renzo habe arbeiten sehen, dahin aus, als habe sich
Michelangelo die roheste Arbeit von Steinmetzen
abnehmen lassen.

Dem gegenüber steht ein oft zitierter Brief
Bandinellis vom 7. Dezember 1547, in welchem
dieser Künstler bedauert, Michelangelo habe sich
nie dazu entschliessen können, grosse Modelle her-

* Adolph Bayersdorfers Leben und Schriften. Aus seinem
Nachlass herausgegeben von Hans Mackowsky, August Pauly,
Wilhelm Weigand (München 1902).

** Carl Justi, Michelangelo. Beiträge zur Erklärung der
Werke und des Menschen (Leipzig 1900).

*** Gottschewski, Zu Michelagniolos Schaffensprozess (Mo-
natshefte für Kunstwissenschaft, Leipzig 1908).

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