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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 10.1912

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Heft 10
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Kristeller, Paul: Ein Skizzenbuch Tiepolos
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https://doi.org/10.11588/diglit.4707#0507

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GIOV. BATT. TIEPOLO, MEERESGOTTHEITEN, ZEICHNUNG

EIN SKIZZENBUCH TIEPOLOS

VON

PAUL KRISTELLER

er lebensfrohen, sonnigen Kunst Frank-
!•>. reichs vor dergrossenRevolutionkonnte
nur ein einziger fremder Rivale die
Alleinherrschaft, die jenes Land in allen
künstlerischen Äusserungen wie im Geschmack
nicht ohne Recht für sich beanspruchte, streitig
machen. Die sinkende venezianische Republik
allein konnte vermöge der Eigenart ihres Lebens
und ihrer ganz selbständigen künstlerischen Ent-
wickelung noch in jener Zeit einen Zauberer des
Pinsels erstehen lassen, der sich kühn den bewun-
derten französischen Meistern der Grossdekoration
als gleichwertig an die Seite stellen, ja vielleicht
sogar über sie erheben durfte. Man sieht auch hier
wieder, wie ähnliche physische und kulturelle Vor-
bedingungen ganz ähnliche, anscheinend durchaus
individuelle künstlerische Erscheinungen erzeugen.
Giovanni Battista Tiepolos Kunst, der äusserste
Lichtkranz in der Glorie venezianischer Monumen-
talmalerei, wurzelt fest und tief im venezianischen
Boden. Die stärksten, die massgebenden An-
regungen verdankt sie Paolo Veronese, der mehr als
Tizian oder Tintoretto der Wonne des Lebens künst-

lerischen Ausdruck zu geben verstanden hat; mehr
als allen Vorbildern, aber gewiss dem Sonnenlicht
und der Lebenslust ihrer unvergleichlichen Hei-
matstadt.

Wie mögen wohl die, die heute aus Lust des
Widerspruchs die Bemühungen älterer Geschlechter
von Kunstforschein, die inneren und äusseren Be-
ziehungen der Künstler zum heimatlichen Boden
und zu ihrer Umgebung klarzulegen, verspotten,
die Kunst dieses Venezianissimo, das rein Malerische
wie ihren poetischen Sinn begreifen wollen ohne
Venedig, ohne seine physische und moralische At-
mosphäre? Keine Kunst ist weniger ausserhalb
ihrer Heimat denkbar und verständlich als die ve-
nezianische Malerei. —

Was Tiepolo wie den Franzosen des achtzehnten
Jahrhunderts vor allem die Kraft zu neuem Auf-
schwung, den Mut zu freiem Schauen verleiht, das
ist die Erlösung ihrer Kunst von der antiken Form,
die bis dahin, ungeachtet manchen kraftvollen Ver-
suches zur Befreiung, die Kunst beherrscht und ihre
freie Bewegung oft genug gelähmt hatte. Von einer
gewollten Auflehnung gegen die Antike, von einem

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