Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 10.1912

DOI Heft:
Heft 11
DOI Artikel:
Kunstausstellungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4707#0590

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ihre Sklaven gehören, und dass heute kein Michelangelo
der Kirche einen Petersdom und niemand den Königen
ein Versailles bauen könnte. Nur, man wird bedenken
müssen, dass das Entscheidende, so in Rom wie in Ver-
sailles durch eine Kraft geschah, die sich nicht irgendwie
ziffernmässig messen lässt. Diese Kraft überdauert die
Völker und allen Wechsel der Ökonomie und der Politik.
Und hier, genau an diesem Imponderabil, wird sich
früher oder später das Schicksal des Deutschen Werk-
bundes entscheiden: ob er entschlossen ist, den Boden
zu bereiten, den Acker zu pflügen, das Niveau und die
Basis zu bauen, um dann zur rechten Stunde der Kunst
die Herrschaft abzutreten. Das ist die Schicksalsfrage:
ob Deutschland damit zufrieden sein soll, ein gehobenes
England zu werden. Man vergesse nicht, dass dieses
England eines der besten Ideale des Werkbundstrebens,
von jeder Kunst entblösst ist. Und man verstehe darum
die Sorge derer, die die Kunst lieben: wie alle Organi-
sation der Kultur zuletzt dem eigentlichen Sinn der
Welt, dem Rhythmus der Leidenschaft und dem flam-
menden Ausbruch des Göttlich-Schönen dienstbar ge-
macht werden könnte.

Die Wiener zeigten ihren Gästen die Häuser von
Hoffmann, auch hatten sie dem Werkbund eine Aus-
stellung ihrer Möbel und Geräte gerichtet. Los vom
Kunstgewerbe, dies Wort, das einer der Österreicher,
der Sektionsrat Vetter, gesagt hatte, wurde beim An-
schauen all dieser Schönheit zum Paradoxon. Was Wien
macht, ob Haus ob Kirche, ob Plakat ob Keramik, ist
Kunstgewerbe. Oder ist es Graphik! Wien spielt mit
tausend Nuancen und Liebkosungen, dass die Sinne
sprühen und die Nerven zittern. Aber es bleibt alles
periphär; es dringt nichts in das Zentrum der Welt. Es
giebt in Wien keinen Maler, keinen Bildhauer, der etwas
zeugte, was in unserm Sinne Malerei und Bildwerk ist.
In der neuen Galerie des Belvedere hängen noch Wald-
müller, Rudolf Alt und Schuch; hinterher kommt nie-
mand. Marckart beherrscht das Feld. Ob das moderne
Wien, die Powolny und Popovits, die Kolo Moser,
Prutscher und Cizek, vielleicht nur mondäne Variationen
dieses fleischlichen Dekorateurs sind. Oder ob das
Völkergemisch der Wiener in den Abstraktionen des
Ornamentes, den Asiaten verwandt, die höchste Äusse-
rung des Formalen empfindet. Dann bliebe immer noch
zu fragen: wo sind ihre Tempelgemälde und Buddha-
figuren; man kann weder Klimt noch Hanak dafür zum
Ersatz nehmen. In Wien wird man überwältigt von
dem Ernst der Entscheidung: wann und wie aus dem
Geschmack der Sinne und der Virtuosität aller Technik
die Kunst sich entwirkt. Das ist es, warum wir sagten:
Wien könnte für die Arbeit des Deutschen Werkbundes
ein Symptom werden, oder - gewesen sein. R. Br.

MÜNCHEN
Die Bayrische Gewerbeschau. Man wollte in München
diesmal keine Ausstellung machen; man wollte sich mit

einem Markt begnügen. Etwa in der Art der Leipziger
Messe nur lustiger, volkstümlicher, bajuvarisch und,
was das Entscheidende ist: auf diesen Markt sollte nur
Qualitätsware kommen. Man plante also nichts geringe-
res als ein Rigorosum der deutschen Produktion: ob sie
den Schund endgültig überwunden habe, ob sie aus-
schliesslich das Gute und das Schöne leiste. Diese Prü-
fung wurde nicht bestanden. Und so weiss man heute
sehr genau, dass Bayern (und um das gesamte Deutsch-
land steht es wahrscheinlich schlechter) noch nicht ver-
mag, grosse Markthallen mit einwandfreier Ware, gar
mit schönen Geräten zu füllen. Es würde gar nicht so
leicht sein, in München zehn brauchbare Stühle, zehn
nutzbare Gläser, Waschgeschirre oderTeppiche zu finden.
Gewiss, es ist vieles da, was man sich gefallen lassen
darf; es mangelt aber noch an dem normalen Niveau,
an jener Selbstverständlichkeit, die man Kultur heisst.
Das ist zu begreifen: es spiegelt die geringste Form, sei
es ein Trinkgefäss, sei es eine Haarspange, das innere
Wesen der konsumierenden Nation. Solange Deutsch-
land nicht neu und fest geschichtet wird, bekommt es
keinen Kanon der Ware. Man denke an England: die
Musterungen des Morris werden noch heute verkauft,
genau, wie vor zwanzig Jahren; die englische Textil-
industrie webt stets die gleichen Typen. Deutschland
steht noch im Zeichen der Nouvaute. Das bedeutet
wohl einen gewissen Reichtum an Ideen und Willen,
aber doch mehr eine Verschwendung und einen Mangel
an ehrwürdiger Tradition. Noch für lange Zeit werden
wir der Antreiber und der Erzieher bedürfen. Immer-
hin bleibt erfreulich, dass das Kunstgewerbe sich wan-
delte und aus einer Artistik des Einzelnen zur Qualitäts-
ware der Allgemeinheit wird. Es kommt nun alles
darauf an, dass jeder Konsument an der Stabilisierung
eines würdigen Niveaus der Normalproduktion mit-
arbeitet.

Die Gewerbeschau wollte nicht mit dem erprobten
Mittel des komplett eingerichteten Ausstellungsraumes
wirken; es sollte keine architektonisierende Zusammen-
fassung über das Wesen des Einzelnen hinwegtäuschen.
Jeder Gegenstand sollte für sich selber einstehen. Nur
die Hallen in ihrer Ganzheit wurden ausgeschmückt,
ein wenig turbulent, ein wenig Kirmes und Alpenball.
Wobei Riemerschmid den Vogel abschoss: blaurote
Jodlerstimmung. Niemeyer hingegen zeigte, dass man
solch einen Markt auch zivilisiert herrichten kann, ohne
dabei langweilig zu werden. Seine Art ist sehr sym-
pathisch und in Sachlichkeit reich. Hingegen kann bei
Troost und Veil das Misstrauen nicht ganz ruhig bleiben;
beide drängen gewaltsam nach Ekstasen. Und machen
so wieder Kunstgewerbe, wo uns Gewerbe nottut.

R. Br.

%

57*
 
Annotationen