Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 11.1913

DOI Heft:
Heft 1
DOI Artikel:
Behrendt, Walter Curt: Paul Wallot
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4713#0066

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Seite erhoben worden, so dass noch während der
Ausführung wiederholt Änderungen vorgenommen
werden mussten. Die endgültige Form der Kuppel
ist schliesslich das Resultat eines Kompromisses
geworden. Ursprünglich über dem Sitzungssaal
geplant, sollte sie nach mehrfacher Umgestaltung
des Grundrisses endlich über der grossen Halle
ausgeführt werden. Als bereits die Fundamente
auf der Basis solcher Disposition fertiggestellt waren,
gelang es dem Architekten — ein missbilligendes
Urteil von Allerhöchster Seite hat ihm dazu ver-
holfen — eineZurückverlegungderKuppelüber den
Sitzungssaal zu erwirken und damit seinen ursprüng-
lichen Gedanken, wenn auch in veränderter Form,
so doch prinzipiell zu verwirklichen. Eine Ver-
stärkung der Fundamente bis zu dem Maasse, das
die Kuppel zu der dominierenden Höhe empor
gereckt hätte, die ihr gebührte und die der Archi-
tekt ihr zugedacht hatte, Hess sich in diesem Stadium
des Baues nicht mehr ermöglichen. Zwar ist sie, trotz
solcher Verkümmerung, ein ragendes Wahrzeichen
monumentaler Repräsentation geworden, aber im
Bewusstsein des Architekten blieb sie ein Torso,
ein ferner schwacher Abglanz nur seiner stolzen
Idee: Grund genug zu Verbitterung und Resignation.
Und einer späteren Generation, der die Bauge-
schichte des Hauses nicht mehr so geläufig ist,
wird der Fehler grösser und in weniger mildem
Licht erscheinen; sie wird, es ist wahr, dem Archi-
tekten den Vorwurf nicht ersparen, dass er seine
Kuppel nicht hoch genug emporhob, um sie vor
hässlichen Überschneidungen durch die Ecktürme
zu schützen und sie vor der Gefahr des Versinkens
bei nahem Standpunkt des Betrachters zu hüten.
Und es liegt eine gewisse Tragik in dem Schicksal
des Reichshaus-Architekten, der diesen Fehler seines
Baues selbst am besten kannte und ihn wissend be-
gehen musste, da ihm die Hände gebunden waren,
ihn abzustellen.

Trotzdem wird Wallots Reichshaus eine bau-
geschichtliche That bleiben. Zum erstenmal wird
hier der Versuch gewagt vom engen Zwang aka-
demischer Stilkonvention loszukommen. In der
architektonischen Gestaltung bekundet sich ein
tapferes Ringen, die überlieferten Formen mit
neuem Leben zu füllen. Die sehr eigene raum-
bildnerische Begabung dieses Einzelnen begnügt
sich nicht mehr mit der banalen Nachahmung der
Stilarchitekten. Das Gerüst der Fassaden, die straffe
Säulen- und Pilasterordnung freilich verleugnet die
akademische Schule nicht; auch ist das System

keineswegs schon völlig aus der rein dekorativ ge-
deuteten Funktion befreit. Aber die architektoni-
schen Einzelglieder, Säule, Pilaster, Gesims usw.,
sind doch nicht ausschliesslich mehr gezeichnete
Formen, sondern sie sind als Verhältniswerte er-
kannt und bewusst als Relationen der kubischen
Maasse genützt. Nichts spricht in diesen wuch-
tigen Fronten weniger als die historische Stilform,
deren der Eklektiker sich für seine Monumental-
komposition bedient hat. Reminiszenzen deutscher
und französischer Gotik, italienischer und spani-
scher Renaissancearchitektur sind zu einem stim-
mungsvollen Ganzen verschmolzen und das Auge
haftet nicht mehr an formalen Einzelheiten. Es
gleitet hinweg über das üppig wuchernde Detail
der Säulen, Pilaster, Wappen, Reichsadler und
Schrifttafeln, erfasst den grossen, klarfliessenden
Rhythmus der Baumasse und nimmt die wuch-
tige, fast hart empfundene Plastik dieses gewaltigen
Steinwürfels in sich auf. Schon lange war das
Grundprinzip aller architektonischen Wirkung mit
solcher restlosen Klarheit nicht mehr ausgesprochen
worden, war mit gleich energischer Betonung des
Kubischen die Raumillusion erzeugt worden. So
sehr war das Auge durch die süssliche Glätte des-
sinateurhafter Reisbrettarchitektur verdorben und
elementarer Raumwirkungen entwöhnt gewesen,
dass ihm die monumentale Kraft dieser rhythmisch
gegliederten Steinmasse übertrieben und fast uner-
träglich schien. Mit einem ernstgemeinten. Scherz-
wort gab O. E. Hartleben dem Gefühl der erschreckt
aufmerkenden Allgemeinheit Ausdruck, wenn er an
Scheerbart schrieb, er fände, dass das Reichstags-
gebäude „ein ganz klein wenig zu viereckig" sei. Dies
aber ist das grosse bleibende Verdienst Wallots, dass
er als einer der ersten auf die Wiederherstellung des
Architektonischen in der Architektur hingearbeitet
hat, dass er die Raumfunktion der Form neu aus-
zudeuten wusste. Und solcher Erkenntnis verdankt
er es, dass sein, wenn auch freisinniger, so doch
immer akademisch begrenzter Eklektizismus zu
wahrhaft lebendiger Monumentalwirkung gelangen
konnte und dass wir heute vor der Front des
Reichshauses stehen, gepackt von der feierlich ge-
tragenen Melodie des Mauerrhythmus, von der ener-
gischen Raummacht der Ecktürme und dem flim-
mernden Formengewirr der Laterne, die die gold-
gehöhte Glaskuppel krönt.

Mit dieser Kuppel aus Glas und Eisen hat
Wallot sich dann als ein Moderner bekannt, als ein
Naturalist, der gewillt war, das Dogma von der

55
 
Annotationen