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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 11.1913

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Heft 5
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Fechter, Paul: Théodore Géricault
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https://doi.org/10.11588/diglit.4713#0277

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Ili

TH. GERICAULT, ZEICHNUNG

Genialsten seiner Generation genannt -— und er
war es wohl auch. Er besass nicht die umfassende
Kultur Delacroix', konnte sie auch nicht haben:
er hatte gewiss den stärkeren Instinkt für das
Zeitgemässe. Er tat den gleichen Schritt wie der
Maler der Dantebarke, an der er nach dem Zeugnis
Fromentins1 mitgearbeitet hat, indem er über die
Davidschule und das XVIII. Jahrhundert hinweg auf
die Quellen der französischen Malerei, auf Rubens
und die alten Meister zurückging. Man hat ihn
zu den Romantikern gezählt: ganz abgesehen von
der Unbestimmtheit dieses Begriffes fällt es schwer,
im Werke Gericaults Spuren zu entdecken, die über
das Gebiet reiner Sichtbarkeitsverarbeitung hinaus-
gehen. In seinem Scharfen taucht zum ersten Mal,
trotz allem Traditionellen, etwas von der unsenti-
mentalischen Sachlichkeit der Gegenwart auf, ge-
tragen von einem Temperament, das für alles auf
Umwegen Ergreifbare viel zu unmittelbar, zu
direkt reagierend war. Nicht umsonst hat Cour-
bet, sich derart für Gericault begeistert, dass noch bei
seinem Freunde Proudhon ein Nachklang hörbar
wird. Über dem Leben wie dem Schaffen Geri-
caults liegt etwas von der Art Balzacs. Nicht als
ob er ein Revolutionär gewesen wäre: er hat sich
für David ebenso wie für Rembrandt und Raffael
begeistert und sich selbst vor dem Aussprechen
des grotesken Gedankens nicht gescheut, ob die
Perfektion nicht dadurch zu erreichen wäre,
dass man die positiven Eigenschaften sämtlicher

Schulen vereinigte. In dem un-
befangenen, unmittelbaren Zu-
greifen ohne begriffliche Vorein-
genommenheit lag seine Stärke.
Von hier aus werden die Wider-
sprüche verständlich, die fast un-
vermittelt nebeneinander stehen:
dass Fromentin auf ihn verweisen
konnte, als er der Malweise des
Rubens die spachtelnde reliefie-
rende der Modernen entgegen-
stellte, während Gericault selbst
einmal erklärte: „Pour moi, si je
pouvais tracer mon contour avec
un Hl de fer, je le ferai" — ein
Wort, das ebensogut von Ingres
herrühren könnte; dass neben dem
„Floss der Medusa" mit seiner
positivistisch exakten Vorarbeit
der „Mann mit dem Stier" steht,
der etwa zwischen der Plastik
Michelangelos und Hildebrands liegt — und auf
der anderen Seite das „Rennen von Epsom", in dem
ein wesentlicher Zug von Degas vorweggenommen
ist. Es scheint in Gericault unbewusst zum ersten-
mal in der bildenden Kunst der Instinkt für das
durchzubrechen, was Manet späterhin die Contem-
poraneite genannt hat —■ nur dass die gesteigerte
historische Spannung der Zeit und das vorzeitige
Zusammenbrechen dieses Lebens es nicht zu be-
wusster konsequenter Gestaltung kommen Hess.

Das Leben Gericaults hat Charles Clement be-
schrieben, der auch einen Katalog seines Werkes
geschaffen hat. (Eine mit einer geschickten Aus-
wahl von Reproduktionen geschmückte knappe
Biographie hat Leon Rosenthal in der Sammlung
„Les Maitres de l'Art" veröffentlicht.) In der Vater-
stadt Poussins und Gustave Flauberts wurde Gericault
am 2 6. September 179 1 geboren. Jung noch kommt
er nach Paris, wohin der Vater, der mit Tabak-
plantagen ein Vermögen erworben hatte, über-
siedelt. Die Mutter stirbt früh; Theodore kommt
auf das College Louis le Grand. Er ist ein schlech-
ter Schüler; dagegen pariert er den Vorwurf: Pares-
seux! mit der Drohung: Je ferai ton portrait! Ihn
interessierte nur das Zeichnen und die Pferde.
Hufschmieden, Ställe, der Zirkus sind sein lieb-
ster Aufenthalt. 1808 verlässt er das College. Er
will Maler werden; der Vater aber protestiert.
Ein Onkel nimmt sich seiner an, indem er ihn
angeblich in seinem Comptoir beschäftigt; in Wahr-



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