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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 11.1913

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Heft 5
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Schaeffer, Emil: Karl Justi
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https://doi.org/10.11588/diglit.4713#0293

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KARL JUSTI i

VON

EMIL SCHÄFFER

m 9. Dezember, als die Archäologen,
ehrwürdiger Sitte folgend, den Ge-
burtstag Winckelmanns feierten, starb
zu Bonn, wo er jahrzehntelang als
Professor der Kunstgeschichte gelebt
und gelehrt, jener Mann, der uns
Deutschen die wundervolle Biographie des Hellenen
aus Stendal geschenkt hatte, starb Karl Justi. „Winckel-
mannsfest" soll das letzte mit schon verröchelnder
Stimme gesprochene Wort des Sterbenden gelautet
haben. . . . Als ein bis zum letzten Augenblick Thätiger
ist det Achtzigjährige von uns gegangen, und obgleich
er niemals um die Gunst der „weiteren Kreise" buhlte,
ja, so sehr davor zurückscheute, seinen Namen im Munde
der Menge zu wissen, dass er seine Bücher mit schlechten
Holzschnitten ausstatten Hess, um nicht ,,ein Prachtwerk
nach heutigen Mustern zu bringen", — an reicher An-
erkennung hat es seinem Schaffen nie gemangelt. Er
war Ehrenmitglied der meisten Akademien, einziger
Ehrenbürger der Stadt Bonn, Kanzler des Ordens „pour
le merite", und wenn Wilhelm II. gegen die moderne
Kunst loszog, berief er sich gern auf die Autorität Karl
Justis, der im Impressionismus Manets keine Weiter-
entwicklung, sondern nur eine Trivialisierung der Ten-
denzen des Velasquez zu erkennen vermochte. Und
trotz alledem klingt dieses an äusseren Erfolgen glanz-
volle Leben tragisch aus; denn Kftrl Justis Büchern ist,
obschon ihr Verfasser ein Grossmeister der Schreibkunst
war, versagt geblieben, was das höchste Ziel eines
Schriftstellers zu allen Zeiten war und sein wird, — die
Wirkung. Karl Justi war immer der Klopstock unter
den Kunsthistorikern, der Klassiker, der gelobt und nicht
gelesen wurde. Die ältere Generation machte sich bis-
weilen noch darüber Vorwürfe, die Neuesten aber wichen
bewusst vom Pfade des Greises ab, der starb, nicht als
Begründer einer neuen Dynastie, sondern als verein-
samter Enkel erlauchter Ahnen. Denn Karl Justi, der
von der Theologie ausging und jahrelang Philosophie
docierte, dem die Liebe zum Griechentum im Blute
steckte und nichts unbekannt blieb, was je ein Genius
in irgendeiner Sprache gedichtet, er war in solcher
Allseitigkeit, der eine leicht ironische Skepsis die indi-
viduelle Prägung lieh, den Humanisten der Renaissance
und den grossen Enzyklopädisten des achtzehnten Jahr-
hunderts verwandter als den im engen Spezialistentum
befangenenKunsthistorikern von heute, die so eingebildet

sind auf ihr bisschen „Warenkenntnis" und vermeinen,
allein mit Stil- und Farbenanalysen, die Karl Justi nur
als den Teil einer grösseren Ganzheit betrachtete, den
Reichtum eines Künstlers zu erschöpfen. Für Justi, hin-
gegen den Historiker par excellence, waren Bilder und
Statuen nicht lediglich an und für sich existierende Ob-
jekte ästhetischer Untersuchungen, sondern in erster
Linie Emanationen bestimmter Persönlichkeiten, deren
besondere Art durch einen Vergleich mit ihrer Umwelt
offenbar wurde, durch ihr Verhältnis zur Kunst, mehr,
zur gesamten Kultur eines Landes und einer geschicht-
lichen Epoche. „Winckelmann und seine Zeitgenossen",
„Velasquez und sein Jahrhundert" lauten, bezeichnend
genug, die Titel seiner Hauptwerke.. Allzu verliebt in
dieses „Und", gab er freilich zu viel an Schilderung des
Milieus, verfiel in die Fehler seiner Tugenden, erzählte,
zum Schaden der Wirkung des Ganzen, bisweilen nur
aus blosser Freude am Erzählen, und bei der Betrachtung
seiner Zeitfresken wird das Auge oftmals von den pi-
kanten Glanzlichtern der kulturgeschichtlichen Anek-
doten mehr gefesselt als durch die Gestalt der Haupt-
person. „Die Arbeiten Justis sind viel zu weitschweifig",
klagt man darum heute, wo man verlernt hat, umfäng-
liche Bücher nicht nur zu schreiben, sondern selbst zu
lesen, und dieser Vorwurf hat dem „Winckelmann"
gegenüber gewiss, beim Velasquez vielleicht seine Be-
rechtigung; aber in dem „Michelangelo" verzichtete
Justi auf alles Episodische, begnügte sich mit „Beiträgen
zur Erklärung der Werke", hat in wunderbar gestalteten
Sätzen das Tiefste und Höchste über „den Menschen
und den Künstler" gesagt, — und doch waren gerade
diese beiden Bände, wie Justi selbst zu einem Besucher
äusserte, „ein Schlag ins Wasser" gewesen. . .

Ob Justi darunter litt? Ich weiss es nicht, aber ich
weiss, dass wir in eine Sackgasse geraten sind und auf-
hören müssen, nichts als „Kenner" zu sein, das heisst
Menschen mit den Fähigkeiten, aber nicht mit den Ein-
nahmen von Kunsthändlern, aufhören müssen, bloss
ästhetische Analysen zu geben, weil wir auf diesem
Wege in eine unfruchtbareSchulmeisterei hereinsteuern.
Und leuchtet uns einmal dieser Tag, wo die „Kunst-
. Wissenschaft" von heute wieder zur „Kunstgeschichte"
wird, dann werden unsere Söhne Karl Justi entdecken,
werden ihn ihr Vorbild heissen, und mit besserem Rechte
als wir, in deren Mitte er gelebt, von ihm sagen dürfen:
„Er war unser"!

(jtICB.

,ten von Goya,

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