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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 11.1913

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Heft 8
DOI Artikel:
Proust, Antonin: Erinnerungen an Edouard Manet, [8]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4713#0419

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ERINNERUNGEN AN EDOUARD MANET

(SCHLUSS)
von ANTONIN PROUST

m Jahre i88z stellte Manet
„Jeanne" (den Frühling) und
„das Bar der Folies-Bergeres"
aus.

Nach dem Salon ging er,
wie im Jahre vorher, aufs
Land nach Bellevue. Diesmal
hatte er ein kleines Haus auf
der Route des Gardes gemietet, das inzwischen
niedergerissen oder wenigstens so umgebaut ist,
dass man sich vergeblich danach umsehen würde,
wonach er wohl hier seine drei Studien: „die
Bank", „das Spalier" und „den Garten" gemacht
hat. Fast täglich schrieb er an seine Freunde
kurze Briefe mit leicht aquarellierten Vignetten.
Seine Frau, welche eine Klavierspielerin ersten
Ranges war, spielte ihm Sonaten vor, die ihn
entzückten; Leon LeenhofF, den er zärtlich wie
einen Sohn liebte, bot alles auf, um ihn zu zerstreuen.
Er unterzog sich in der Kuranstalt von Bellevue
einer Kaltwasser-Behandlung, trotzdem er sich über
die Nachlässigkeit dieser „Bauern" beklagte, die,
wie er sagte, gut daran thäten, die Kunst des
Duschens beim Doktor Beni-Barde zu erlernen.
Was ihn in Bellevue am meisten entzückte, das war
die belebende Luft, die ihn in alle Poren drang, der
heitere Anblick der Blumen und der Blick auf die
Wälder.

Eines Sonntags fuhr ich zu ihm hinaus. Sein
Haus lag auf dem Kamm des Hügels, der steil zur
Seine herabfällt. Wir wollten ein wenig spazieren
gehen. „Es wäre mir leichter, an dem Abhang ent-
lang zu gehen, als wieder hinaufzusteigen," sagte
er, „aber schliesslich ist klettern noch immer besser
als herunterpurzeln. Wir wollen auf die Terrasse
von Meudon gehen."

Wir gingen durch die lange Allee, welche zu
dieser Terrasse führt. Er bewunderte die hundert-
jährigen Bäume, die sie einrahmen, aber konnte
sich nicht genug über die Geschmacklosigkeit der
Pariser aufhalten, die sich für ihre Sommerfrische
so seltsame Häuser hinbaucn. Er ging mit grosser
Mühe und musste sich einen Augenblick vor der
Thür des „Potager du Dauphin" ausruhen. Der Eigen-
tümer hatte dort ein, wie ich glaube, auf der Aus-
stellung von 1878 erworbenes Blockhaus hingesetzt.

„Welch Unsinn," sagte er, „hier in diesen so
urfranzösischen Winkel dieses norwegische Ding
zu stellen! Die Sammler werden noch aus unserem
Lande einen Trödlerladen machen. Ach, diese
Sammler! Hat so einer in ein und demselben
Zimmer Möbel von allen Stilen aufgespeichert, so
ist er vergnügt wie ein Fisch im Wasser. Bei sich
mögen sie machen, was sie wollen, da genierts
keinen, aber um Gottes willen, das Land sollten
sie respektieren! Ach, die Einheitlichkeit, die Har-
monie, all das geht uns verloren, und welch Genuss
ist es doch, wenn man in einer Stadt wie Toledo,
Nürnberg, Brügge oder Venedig herumläuft. Da
fällt nichts heraus, aber wozu soll man das den
Leuten von heutzutage predigen, es nützt doch
nichts."

Nach dieser Ruhepause kamen wir endlich auf
die Terrasse von Meudon.

Manet war völlig erschöpft. Er liess sich auf
eine Bank nieder. „Man mag sagen, was man will,"
rief er, indem er auf das Schloss zurücksah, „das
hat Charakter, und wie das daliegt!" Und dann
blickte er auf Paris, das in durchsichtiger Helle vor
uns lag: „Dagegen lässt sich auch nichts sagen,
Notre-Dame, die ist klein und doch gross. Die
Kerls, die das zustande gebracht haben, hatten
Mark in den Knochen!" Ein kleines Mädchen trat
zu uns und bot uns Buketts an. „Was ist denn
Deine Mutter:" fragte Manet. „Meine Mutter ist
Wäscherin in Bas-Meudon." — „Und Dein Vater:"
„Papa? Der thut nichts." — „Was heisst das, er
thut nichts?" — „Manchmal geht er nachts in den
Wald und holt ein Kaninchen, aber im Winter
arbeitet er. Er ladet Kohlen ab aus den Schiffen." —
„Und davon lebt ihr?" ■— „Aber ich verkaufe doch
Blumen," sagte das Kind ganz stolz, „es giebt Tage,
wo ich zwei Francs nach Hause bringe." — „Nun
sieh einmal, hier hast Du drei Francs," sagte Manet,
„und gieb Du ihr eben soviel." Ganz glücklich zog
die Kleine mit ihren sechs Francs in der Tasche ab.

„Ist es nicht schrecklich, in einem solchen Zu-
stand zu sein, wie ich es jetzt bin? Wäre ich ge-
sund, so wäre ich im Nu nach Hause gelaufen und
hätte mir meinen Malkasten geholt."

Auf dem Heimwege waren Manets Gedanken
wieder bei dem Kinde. „Es ist zu merkwürdig!"

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