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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 12.1914

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Heft 6
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Widmer, Johannes: Ein neues Bild Frank Buchsers
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https://doi.org/10.11588/diglit.4753#0378

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Ein neues Bild Frank Buchsers

Seit es mir vergönnt war, die Kunst dieses Früh-
impressionisten (18 2 8— 1890) aus langer Vergessenheit zu
erwecken, und seitdemjules Coulin in meiner Propaganda-
schrift in einer rasch nachfolgenden ausführlicheren
Studie einige Lücken meiner Darstellung ausgefüllt hat,
im wesentlichen und namentlich in der Wertung des
Malers durchaus mit mir übereinstimmend, regt es sich
mehr und mehr um den Meister her. Das Solothurner
Museum, das viele seiner schönsten Bilder besitzt, hat
sie neu, und glücklicher als früher, ausgestellt. Die
Basler öffentliche Kunstsammlung wird, sobald ihr neues
Heim unter Dach sein wird, aus dem wunder-
samen Bestand an Buchserstudien einen
eigenen Saal ausrüsten, der bestimmt
ist, neben den alten Schweizern, den
Holbein, den Böcklin des Mu-
seums Aufsehen zu erregen.
Und im Kunsthandel tauchen
immer häufiger bekannte,
kaum bekannte oder ganz
unbekannte Werke auf, die
unsere Vorstellung von i
Buchsers Schaffen erweitern
und meistens auch bekräf-
tigen. Vor kurzem war es
ein äusserst lebendiges,
knappes Badebild, das den
Stempel jener Entwicklungs-
jahre nach 1860 trug, wo die
romantische Kunst sich mit
spanischer Glut und ersten Im-
pressionismen der Haltung und
Farbgebung auffrischte, ohne noch
genügend vom herkömmlichen
Gruppieren und seinen Folgen zu
lassen. Man mochte an das ähnlich ent-
standene „Dejeuner sur l'herbe", in
kleinem'Maassstab und von einem, Diaz
de la Pena verwandten, Koloristen ge-
malt, denken. Jetzt kommt ein Bildnis an den Tag,
das den Künstler in ganz anderem Lichte zeigt. (Es
ist inzwischen auf meinen Rat in die Sammlung Russ-
Young, Neuenburg, übergegangen, die mehr und mehr
an die vorderste Stelle unserer schönen schweizerischen
Privatsammlungen rückt.)

Die Gesamtanlage ist durchaus klassizistisch. Der
Aufbau leidet vielleicht an einem Zuviel: der Künstler
würde besser gethan haben, ganz vor dem Bild zu bleiben.
Auch dann besteht vielleicht noch ein Einwand, der,
dass der Sohn im Verhältnis zur Mutter zu gross ge-
worden sei. Aber man darf doch von einer ausser-
ordentlichen Geschlossenheit der Gruppe sprechen. So
gewinnend menschlich die Dreiheit dieser Mutter und
ihrer stattlichen Söhne ist, so gewinnend ist sie

FRANK BÜCHSEE, FAMILIENBILD

auch künstlerisch, je länger man hinsieht. Diese drei
Menschen stehen im Bewusstsein gegenseitiger Zuver-
lässigkeit und eigener Kraft gelassen da. Mögen, wie
es oft der Fall war, Meere und Erdteile sie voneinander
trennen, das Gewicht selbstverständlicher Neigung hält
sie unverrückt. Sie sind von der Art des Fähnleins der
sieben Aufrechten, und die Mutter ist wie Frau Regel
Amrein. (Nicht umsonst waren Frank Buchser und
Gottfried Keller Herzensfreunde.) Die Malerei steigt
vom ganzen Umfang des hohen Ovals (das Bild misst
90 auf 11 5 Zentimeter) her sich mächtig steigernd zum
Haupt der Mutter auf. Aus warmen braunen und edlen
grauen Tönen zu dem matten Weiss des Angesichts,
dessen Schimmer wieder leise an eine heilige
Figur erinnert. Das Licht, das sich auf den
Wangen, der hohen Stirn, dem Hals der
Frau voll sammelt, strahlt wieder
nach allen Seiten aus und belebt,
verweltlicht die stille Erschei-
nung seinerseits durch die feine
Hand des einen Sohnes, die das
das Buch haltende Hand der
Mutter, das Buch, ein rotes
Aufleuchten im Rockärmel
des Sohnes links, im Profil
des Malers, um gemach all-
wärts abzufluten. Genau wie
die Malerei der Mutter zu
anschwillt, von ihr ab-
schwillt, so verhält es sich
auch mit der, übrigens streng
in die Fläche gedrängten,
Modellierung. Ja hier ist die
Mutter noch mehr als in der
Malerei bedacht. Verdeckt man
die Söhne, so bleibt ein markiges
Gebilde übrig; der Kopf ist ein gross
und voll beobachtetes und geformtes
Stück; in Dämmerung getaucht, was
winzig und beirrend; alles Bedeutende
einfach und rückhaltlos, mit Weite und
unaufdringlicher Bedeutung. Auch nicht ein Ton von
Ruhmsucht, und doch atmet das Gemälde eine unver-
kennbare neuzeitliche, schlichte, schweizerische Kornelia-
stimmung.

Der Stempel der Entstehungszeit, 1860, allgemein und
in Buchsers Schaffen, ist das Aufleuchten warmer Farben
durch die gedämpften Oberflächen; das rege Streben
nach unbedingter Verlebendigung aus sachlicher Beob-
achtung mit Ausschluss jeder unkünstlerischen Rücksicht
oder Absicht; inneres Feuer, das durchbricht und sich
bald mit dem Äusseren einer neuen vibrierenden glück-
lich-luftigen Malerei vereint. Johannes Widmer.

Soeben vernimmt man, dass die Zürcher Kunsthandlung
Bollag in den Besitz eines glänzenden Buchser aus dessen
spanischer Zeit gelangt ist: „Los tres amigos".

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