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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 12.1914

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Heft 6
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Kunstausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4753#0382

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UNSTAUSSTELLUNGEN

BERLIN
Die am ersten Weihnachtstage
191 3 erfolgte Ankunft des lange er-
warteten Altarbildes von Hugo van
; der Goes aus Monforte hat die Freude
über das kurz vorher für das Kaiser Friedrich-Museum
gewonnene Gemälde von PieterBruegel „Die vlämischen
Sprichwörter" etwas zurückgedrängt*. Und doch wird
man bei ruhiger Betrachtung das eine über dem anderen
nicht vergessen können. Denn an künstlerischem Wert
stehen beide Werke sich annähernd gleich: und nur die
zeitliche Bedingtheit ihrer Entstehung kann daran schuld
sein, wenn mancher das Werk des Goes dem des Bruegel
unbedingt vorzuziehen geneigt sein wird. Bei Goes ist
die Komposition noch von der Macht des kirchlichen
Vorgangs gebunden, wenn sich auch in dem ungestümen
Verstehen menschlicher Seele und Körperlichkeit die
Erschütterungen zu erkennen geben, die zu den Refor-
mationen der Kirche hinführten. Goes rückt hart an den
Vorgang heran, er sieht die Menschen und Gottheiten
seiner Bilder gern lebensgross vor sich, er nimmt sie
einzeln vor, von Kopf bis zu Fuss; denn für ihn besteht
die Welt im Menschen, der kraft seiner Seele sich zum
Göttlichen emporsehnt, dem aber dieser Aufschwung
einen Kampf bedeutet, da er das Göttliche im Menschen
sucht oder zu suchen wünscht. Bruegel nimmt den
Menschen viel weniger ernst. Zwischen beiden liegt
die Entdeckung der Neuen Welt durch Columbus und
die Wiedererweckung des klassischen Altertums durch
die Humanisten. Die Erschütterungen der Seele hatten
sich vom Kampf des Glaubens auf das Schlachtfeld ge-
wendet. Die Streitigkeiten, die im alten Jahrhundert
noch Fragen
der Seele ge-
wesen waren,
hatten sich in
vorwiegend po-
litische Kämpfe

verwandelt.
Das Reich des
Allerchristlich-
sten Königs
hatte die An-
dersgläubigen
an die Grenze
verwiesen und
seine Herr-
schaft über die
ganze bekannte
Welt verbrei-
tert; und die er-

l- il

* Siehe Ab-
bildung Seite 298.

WESTERMEIER, LEKTÜRE
AUSGESTELLT IM GRAPHISCHEN KABINET J. B. NEUMANN, BERLIN

neute Wirkung der antiken Schriftsteller hatte diese Welt
über die Gegenwart hinaus bis an die Grenzen hundert-
jähriger Vergangenheiten ausgedehnt. Bruegel lebte nicht
wie Goes in einem Kloster seiner Heimat; er trug einen
schönwallenden Vollbart, freute sich an den geschliffenen
Distichen seiner lateinisch dichtenden Zeitgenossen,
wanderte durch Frankreich nach Italien. Sah bei Messina
den Paraden kriegstüchtiger Schiffe zu und lernte auf
seinen Wanderungen Leute allerlei Standes kennen,
deren Tracht und Farben er in seinem Skizzenbuch
festhielt. Er beobachtete Bettler und Soldaten, sah am
Galgen armselige Wegelagerer hängen, belustigte sich
an einer Kaninchenjagd, blickte von steilen Bergpfaden
in die Schluchten der Thäler, und sah vom Saum der
Landstrasse den Herden im Gras zu und den Karren der
Bauersleute, wie sie von abgetriebenen Pferden an ihm
vorbeigezogen wurden. Ihm war die Welt weit und
der Mensch klein. Bruegel sah nicht mehr den Menschen
allein, er kannte den Menschen in der Natur und die
Natur im Menschen.

Und so kam Bruegel dazu, wozu im fünfzehnten
Jahrhundert keiner gekommen war: an dem Treiben
des Volks seinen Gefallen zu haben. Wir können das
nicht bloss aus seinen Arbeiten ersehen, sondern wir
wissen es auch aus seiner Lebensgeschichte. Denn
VanMander berichtet, dass Bruegel zusammen mit einem
Freund und Gönner sich einmal verkleidet hat, um un-
erkannt die Belustigungen einer Bauernkirmess be-
obachten zu können. Wir sind aber durch die Unter-
schriften seiner Kupferstiche und die Titel seiner Ge-
mälde auch darüber im klaren, dass sein Umgang mit
den kleinen Leuten kein harmloses Mitmachen ihrer

Vergnügungen
war, sondern
ein überlegenes
Behagen an
ihrer unge-
schlachten
Derbheit und

kindlichen
Masslosigkeit.
Bruegel war
weit entfernt
von der jovi-
alen Kollegiali-
tät, mit der ein
Brouwer die
guten Bürger
von Haarlem
undAntwerpen
abkonterfeite,
an deren Tisch
er spielte, trank

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