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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 12.1914

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Heft 9
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NEUE BÜCHER

Hermann Cohens Ästhetik.*

affael bildete es mit seiner „Schule von
Athen" in der Gestalt Piatons unver-
gänglich ins Herz, was auch aus Cohens
Werk zwingend spricht: Philosophie ist
Piatonismus. Denn Piaton ist der Un-
sterbliche, der Philosoph des Anfangs.
Er hat die Philosophie, los von Mystik und phantasti-
schem Geheimnis, in erhabener Grösse, aber zu stren-
ger Schulung als Wissenschaft begründet. Das Denken
aus Ideen, aus Grundlegungen, die sich im Denken
erzeugen und bewähren, hat er entdeckt; durch ihn
entstand der Idealismus als weltgeschichtliche Bewe-
gung. Die Grundlegungen, auf denen er baute, und
die er erkennen lehrte, liegen nicht, sie wirken; sie
liegen dem Denken nicht zugrunde, sondern sie wirken
in ihm, in seiner Bewegung, sie wirken im Grunde. Der
Philosoph erkennt sie, wenn er das Denken forschend
untersucht und bis zur Frage des Ursprungs dringt: wie
es denn möglich sei.

Voraussetzung ist solchem Denken die Kultur; auf
ihr Erfassen und Zergliedern ist die Philosophie gerich-
tet. Die Kultur besteht; es giebt Wissenschaft, Sittlich-
keit und Kunst. Es giebt seit Jahrtausenden ein Natur-
erforschen und denkendes Erkennen; seit grauen Zeiten
bilden sich auf der Erde Staaten mit ihrer Bindung durch
Rechtsformen; unser Leben ist verklärt durch die Kunst.
Das alles giebt es, es lebt, es ist da. Wie aber ist dies
Dasein möglich? Wie sind Erkenntnis, Sittlichkeit und
Kunst möglich als Schöpfungen der Menschheit, als Rich-
tungen des menschlichen Bewusstseins?

Mit dieser Frage beginnt die Philosophie als Wissen-
schaft. Piaton hat den Grund bereitet; seine Lehre wirkt
durch die Jahrhunderte; Kant hat in seiner Neufassung
den Weg in die Zukunft gewiesen. Und dem Recht und
der Aufgabe dieser Philosophie, wie sie als Logik, Ethik
und Ästhetik die Richtungen der Kultur zum Ausgang
nimmt, sind die Bücher Cohens, der uns Kant und Piaton
neu verstehen lehrte, ihr ist sein System gewidmet.
Logik und Ethik gingen voraus; nun erschien, als dritter
Teil, die Ästhetik.

Sie lebt, als Denken über die Kunst, im Ringen um
das Begreifen der Gesetzlichkeit, in der sich das künst-
lerische Gestalten der erlauchtesten Geister ausgewirkt
hat; und sie lebt im Zusammenhang des Systems, in dem
alle Probleme der Kultur als Probleme der Menschen-
vernunft erfasst und in der Einheit des Bewusstseins

* Hermann Cohen, Ästhetik des reinen Gefühls. System
der Philosophie, III. Teil. 2 Bde. Berlin, Bruno Cassirer. 1912.

verankert und gesichert werden; denn die Einheit, in
der sich die Richtungen des Bewusstseins zur Kultur
zusammenschliessen, diese Einheit des Kulturbewussr-
seins ist die Voraussetzung und die Leistung der syste-
matischen Philosophie.

Das ist der Boden, auf den sich stellen muss, wer in
die Gedankenführung des Werkes eindringen will. Es
lehrt die Bewegung, in welcher der lebendige Geist sich
erzeugt und erhält, und die nichts Bleibendes, Seiendes
anerkennt; was bleibend besteht, ist die Möglichkeit,
die Gewissheit der Bewegung; und was sich finden lässt,
ist nicht gewonnen sicherer Besitz; es muss immer von
neuem erworben werden. Denn nicht unumstössliche
Resultate sind das Ergebnis solchen Suchern; sondern
wie sie gesucht werden, und wie sich darin immer wie-
der die Bewegung des Denkens bewährt, das ist, was als
Lösung und Erfüllung, der unendlichen Aufgabe gegen-
über, erscheinen und erobert werden kann.

Das Bewusstsein als Bewegung ist schöpferisch; es
erzeugt seinen Gehalt. Im Gefühl entdeckt sich seine
neue Richtung, die ästhetische, in der Wille und Er-
kenntnis in gemeinsame Wirkung, in Spannung treten
und aus solchem Zusammenwirken den neuen Gehalt
entstehen lassen. Und welches ist der Gehalt, durch
den das Gefühl als die ästhetische Richtung bestimmt ist?

Das ist der Mensch; der Mensch der Natur, in der
Natur, als ein Teil von ihr; die Natur des Menschen.
Ihn entdeckt das reine Gefühl: als Liebe. Eros ist der
Urquell aller Kunst, die Liebe zur Natur des Menschen.
Diese Liebe trägt in sich ein nie ermattendes Streben,
Ringen nach Vollendung: sie kann der Mensch der Na-
tur nur von der Kunst, von der reinen Liebe des Genies
empfangen. Darum ist diese Liebe zeugend; denn sie
erzeugt einen neuen Menschen, der hinausragt über das
Maass, wie es die Erfahrung dem Menschen zuerkennt,
weil das Streben nach Vollendung ihn geschaffen, weil
das heilige Feuer der reinen Liebe zur Menschennatur
im schaffenden Genie gebrannt, sie erhöht hat.

So steigt, vom ewigen Morgenrot umflossen, der
Menschheit Urbild aus dem unvergänglichen Kunstwerk
auf: die Gestalt. Das ist nicht nur der Geist, der rast-
los nach Erkenntnis forscht, und nicht nur der sittliche
Wille: es sind beide Kräfte als die Natur des Menschen
in der Natur; als die Seele, die im Leibe wohnt.

Die Gebilde des Schönen wachsen aus dem Boden,
den Naturerkenntnis und Sittlichkeit im Menschen
legen; sie erzeugen sich aus dem beackerten Land der
Seele, die der Liebe zur Natur des Menschen zuge-
wendet ist. Die Bewusstseinskräfte treten in eine schwe-

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