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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Heft 1
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Kleist, Heinrich von: Katechismus des Deutschen: abgefasst nach dem Spanischen zum Gebrauch für Kinder und Alte
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https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0044

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Antw. Franz der Zweite, der alte Kaiser der Deut-
schen.

Fr. In der That? — Warum glaubst du dies?

Antw. Weil er seinen Bruder, den Erzherzog Carl,
ins Reich geschickt hat, mit seinen Heeren, und die
Franzosen, da sie bei Regensburg* standen, angegriffen
hat.

Fr. Also, wenn ich mit Gewehr und Waffen neben
dir stehe, den Augenblick erlauernd, um dich zu er-
morden, und du, ehe ich es vollbracht habe, den Stock
ergreifst, um mich zu Boden zu schlagen; so hast du
den Streit angefangen?

Antw. Nicht doch, mein Vater; was sprach ich?

Fr. Wer also hat den Krieg angefangen?

Antw. Napoleon, Kaiser der Franzosen.

Siebentes Kapitel.
Von der Bewunderung Napoleons.

Fr. Was hältst du von Napoleon, dem Korsen, dem
berühmsten Kaiser der Franzosen?

Antw. Mein Vater, vergib, das hast du mich schon
gefragt.

Fr. Das hab' ich dich schon gefragt? - Sage es noch
einmal, mit den Worten, die ich dich gelehrt habe.

Antw.Für einen verabscheuungs würdigen Menschen;
für den Anfang alles Bösen und das Ende alles Guten;
für einen Sünder, den anzuklagen die Sprache der Men-
schen nicht hinreicht, und den Engeln einst, am jüngsten
Tage, der Odem vergehen wird.

Fr. Sahst du ihn je?

Antw. Niemals, mein Vater.

Fr. Wie sollst du ihn dir vorstellen?

Antw. Als einen, der Hölle entstiegenen, Vater-
mördergeist, der herumschleicht, in dem Tempel der
Natur, und an allen Säulen rüttelt, auf welchen er ge-
baut ist.

Fr. Wann hast du dies im stillen für dich wieder-
holt? . ,

Antw. Gestern abend, als ich zu Bette ging, und

heute morgen, als ich aufstand.

Fr Und wann wirst du es wieder wiederholen?

Antw. Heute abend, wenn ich zu Bette gehe, und
morgen früh, wenn ich aufstehe.

Fr Gleichwohl, sagt man, soll er viel Tugenden be-
sitzen Das Geschäft der Unterjochung der Erde soll
er mit List, Gewandtheit und Kühnheit vollziehn, und
besonders an dem Tage der Schlacht, ein grosser Feld-

herr sein.

Antw. Ja, mein Vater; so sagt man.

Fr. Man sagt es nicht bloss; er ist es.

Antw. Auch gut; er ist es.

Fr. Meinst du nicht, dass er, um dieser Eigenschaft
willen, Bewunderung und Verehrung verdiene?

Antw. Du scherzest, mein Vater.

Fr. Warum nicht?

* Schlacht bei Regensburg: 23. APril l8o9'

Antw. Das wäre ebenso feig, als ob ich die Ge-
schicklichkeit, die einem Menschen im Ringen beiwohnt,
in dem Augenblick bewundern wollte, da er mich in
den Kot wirft und mein Antlitz mit Füssen tritt.

Fr. Wer also, unter den Deutschen, mag ihn be-
wundern?

Antw. Die obersten Feldherrn etwa, und die Kenner
der Kunst.

Fr. Und auch diese, wann mögen sie es erst thun?

Antw. Wenn er vernichtet ist.

Achtes Kapitel.
Von der Erziehung der Deutschen.

Fr. Was mag die Vorsehung wohl damit, mein Sohn,
dass sie die Deutschen so grimmig durch Napoleon, den
Korsen, aus ihrer Ruhe aufgeschreckt hat, bezweckt
haben ?

Antw. Das weiss ich nicht.

Fr. Das weisst du nicht?

Antw. Nein, mein Vater.

Fr. Ich auch nicht. Ich schiesse nur, mit meinem
Urteil, ins Blaue hinein. Treffe ich, so ist es gut; wo
nicht, so ist an dem Schuss nichts verloren. — Tadelst
du dies Unternehmen?

Antw. Keineswegs, mein Vater.

Fr. Vielleicht meinst du, die Deutschen befanden
sich schon, wie die Sachen stehn, auf dem Gipfel aller
Tugend, alles Heils und alles Ruhms?

Antw. Keineswegs, mein Vater.

Fr. Oder waren wenigstens auf gutem Wege, ihn
zu erreichen?

Antw. Nein, mein Vater; das auch nicht.

Fr. Von welcher Unart habe ich dir zuweilen ge-
sprochen?

Antw. Von einer Unart?

Fr. Ja; die dem lebenden Geschlecht anklebt.

Antw. Der Verstand der Deutschen, hast du mir
gesagt, habe, durch einige scharfsinnige Lehrer, einen
Überreiz bekommen; sie reflektierten, wo sie empfinden
oder handeln sollten, meinten, alles durch ihren Witz
bewerkstelligen zu können, und gäben nichts mehr auf
die alte, geheimnisvolle Kraft der Herzen.

Fr. Findest du nicht, dass die Unart, die du mir be-
schreibst, zum Teil auch auf deinem Vater ruht, indem
er dich katechisiert?

Antw. Ja, mein lieber Vater.

Fr. Woran hingen sie, mit unmässiger und unedler
Liebe?

Antw. An Geld und Gut, trieben Handel und Wan-
del damit, dass ihnen der Seh weiss, ordentlich des Mit-
leidens würdig, von der Stirn triefte, und meinten, ein
ruhiges, gemächliches und sorgenfreies Leben sei alles,
was sich in der Welt erringen Hesse.

Fr. Warum also mag das Elend wohl, das in der
Zeit ist, über sie gekommen, ihre Hütten zerstört und
ihre Felder verheert worden sein?

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