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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Heft 4
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Heymel, Alfred Walter: Der Tag von Charleroi
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https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0187

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niemand wusste, ob sie nicht jeden Augenblick
mechanischgesprengt werden konnte. Unaufhörlich
pfiffen einzelne Kugeln über uns hinweg, aus dem
oberen Stadtteil abgegeben, einmal hörten wir ein
Maschinengewehr, das in irgendeinem Häuserdach
eingebaut sein musste; aber die Kugeln gingen alle
zu hoch und zu weit und trafen nicht; wenigstens
nicht uns.

Wir hatten alle das Gefühl, dass, wenn jetzt
unsere letzte Infanterie über die Brücke hinüber sein
würde, wir als Schluss des Detachements wiederum
die ganze hinterlistige Wut der Bevölkerung aus-
zukosten haben würden. So entschloss sich unser
Kommandeur, den Rest der Reiter heranzuholen
und in einer Kolonne zu einen, jenseits der Brücke
an die Häuser gedrückt, aufzustellen.

Wir unterhielten uns bis Anbruch der Dunkel-
heit damit, dann und wann auf irgendein Haus des
gegenüberliegenden Ufers zu schiessen, aus dem
man auf uns geschossen hatte.

Oben, auf der rückwärtigen Höhe, vielleicht
eine halbe Stunde Marsch von uns entfernt, tobte
die Feldschlacht. Wir unterschieden ganz genau
unser ruhiges, festes, energisches Artilleriefeuer, vor
allem das Schweigen gebietende Krachen unserer
schweren Artillerie beim Feldheer, des grössten
Schreckens der Franzosen, von dem heftigen,
nervösen, französischen, oben geschilderten Feuer.

Wir wussten aber auch ganz genau, dass, wenn
es da oben schiefginge, wir durch Charleroi zurück
mussten, und ich glaube, ein jeder von uns hätte
sich lieber an der Stelle, auf der er stand, totschlagen
lassen, als noch einmal zu versuchen, durch diese
Hölle jetzt in den sicheren Tod zurückzugehen und
dem Gorgonenhaupt dieser Stadt in der Nacht ins
Auge zu schauen.

Da erhielt ich den Auftrag, mit meinem Zug
einmal links herauszufühlen, ob dort vielleicht eine
Abzugsstrasse für uns nach Chatelet in Frage käme.

Ich Hess führen, Karabinerschützen neben den
Pferden gehen und das äussere Tor einer der
grossen Fabriken am Fluss aufbrechen, um sicher
zu sein, beim Zurückkommen nicht von dort durch
überlegene Kräfte niedergemacht zu werden. Wir
fanden aber keinen mehr, ausser zwei heulenden,
unsagbar erbärmlich feigen Ingenieuren, die uns
sofort verrieten, dass die Fabrik bis zum Nach-
mittag von Schützen besetzt gewesen sei, die sich
jetzt aber auf den anliegenden Höhen verteilt hätten.
Das sprach sich herum. Ich glaubte zu merken —
und das Hess mein Herz zu Eis erstarren, und ich
hoffe immer noch, unrecht gedacht zu haben —,
dass meine sonst so braven Reiter keine rechten
Nerven hatten, vorwärts zu gehen, ihr Schritt wurde
immer langsamer, sie suchten mit immer mehr
Umständlichkeit Zivilisten einzufangen, kurzum,

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