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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Heft 5
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Scheffler, Karl: Die Maler 1870 und 1914
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https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0218

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Geist des Krieges. Es ist als hätten diese Künstler
von dem Völkerringen garnichts gewusst, als hätten
sie in einer andern Welt gelebt. Ihr Verhalten
ist nun aber allein wichtig für die Frage, wie der
Krieg von 1870 — 71 auf die Kunst gewirkt hat,
weil sie allein die Führer und die Bestimmer der
Entwicklung geworden sind, in Deutschland und
in Frankreich. Man wird also zu dem Schluss
gezwungen, dass der Krieg von 1870 auf die
echten und grossen Talente überhaupt nicht ge-
wirkt hat. Für die Kunstgeschichte existiert dieser
Krieg nicht.

Es ist lehrreich, um das zu beweisen, einmal die
Reihe der führenden Talente in Deutschland und
Frankreich abzuschreiten und ihr Verhältnis zum
Krieg kurz zu untersuchen.

Menzel, der moderne Kriegsmaler Preussens,
hat seine sprühenden Kriegsillustrationen zu Kuglers
Geschichte Friedrichs des Grossen im tiehten
Frieden, um t 8^0, und aus weiter zeitlicher Distanz
geschaffen. Er hat die Zeit und das Kostüm des
Alten Fritzen gewählt, ist an den Kriegen der Be-
freiungsjahre vorübergegangen und hat auch vom
Krieg 1870/71 keine Schilderungen gegeben. Zur
Zeitgeschichte hat er 1870 eigentlich nur ein
einziges aktuelles Bild gemalt, die „Abreise König
Wilhelms zur Armee", daneben sind nur neutrale
Werke entstanden: ein „Bilsekonzert", ein „Ester-
hazikeller" und der „Tanz Heinrichs des Achten mit
Anna Boleyn". Während die Schlachten von Wörth
und Sedan geschlagen wurden und Paris einge-
schlossen war, ist Menzels Kunst friedlicher gewesen
als sonst, trotzdem dieser Maler nach rechts doch
stets ein wenig die berufsmässigen Schlachtenmaler
berührte.

Denkt man nun gar an einen Maler wie Leibl,
so ist von der Atmosphäre des Krieges überhaupt
nichts mehr zu spüren. Noch 1869 war der Kölner
in einen vertrauten wenn auch wortarmen Verkehr
mit dem Franzosen Courbet geraten. Er weilte bis
kurz vor Kriegsausbruch in Paris, malte dort einige
seiner meisterlichsten Bilder, fand dort mehr Aner-
kennung als in München und betrachtete es dann als
einen Glücksfall, als er, auf Grund seiner künstle-
rischen Leistungen, auf Empfehlung des preussischen
Gesandten in Paris, vom Militärdienst dispensiert
wurde. Er Hess sich in München nieder und
arbeitete an seiner Frieden atmenden „Tisch-
gesellschaft", malte mit französischem Charme und
deutscher Gründlichkeit seine Nichte Lina, schuf
eine Reihe schöner Malerbildnisse und gab seiner

Nation Meisterporträts wie das von Pallenberg,
Bürgermeister Klein und von dem „Amtmann". Seine
Kunst war gerade in dieser bewegten Zeit voll
Leben gewordener Ruhe, voll stiller Kostbarkeit
und inniger Freude an der Erscheinung, die Natur
war ihm ein Fest für die Augen. Der Künstler ver-
kehrte damals in seinem „Kreise", mit Thoma,
Schulderer, Eysen, Sattler, Trübner, Schuch und
Bayersdorfer; er lebte in Kunstempfindungen, wor-
an Kriegsgedanken schlechterdings keinen Anteil
hatten.

Thoma widmet in seinen autobiographischen
Aufzeichnungen* dem Krieg nur wenige Zeilen.
„Vom ganzen Krieg", schreibt er unter anderm,
„haben die Säckinger eigentlich nicht viel mehr
gesehen als ein Regiment Württemberger, das mit
der Eisenbahn durchfuhr". Auch innerlich hat er
scheinbar nicht viel mehr vom Krieg gesehen.
Wenigstens kann man sich nichts Friedlicheres vor-
stellen als seine Produktion dieser Jahre. Die Titel
sagen schon genug: „Der Dorfgeiger", „Sonntag",
„Unter dem Flieder", „Hühnerfamilie" usw. Eben-
sowenig liess sich Schulderer von den Ereignissen
der Zeit künstlerisch beeinflussen. Er ging in
Frankfurt a. M. den harten Thatsachen aus dem
Wege und reiste nach London, wo er dann viele
Jahre geblieben ist. Auch ihm waren die Be-
ziehungen zur französischen Kunst, verkörpert vor
allem in Courbet, wichtiger als der durch den Krieg
ausgelöste Völkerhass. Und nicht anders war es
bei anderen Künstlern dieser Art, bei Burnitz,
Schuch, und ihren Genossen. A. von Keller
malte in dieser Zeit seine feinsten und intimsten
Bilder eleganter Salondamen. Viel später erst hat
er mit der „Exhumierung der Leiche des Generals
Latour d'Auvergne" etwas wie eineKriegsreminiszenz
versucht. Trübner befand sich in seiner
Entwicklung. Die Begegnung mit Leibl, die in
diese Zeit fiel, war ihm wichtiger — mit Recht —
als der Krieg. Denn sie entschied die Richtung
seiner Kunst und setzte ihn in den Stand in den
folgenden Jahren die bedeutenden Bilder zu malen,
die seinen Ruhm begründet haben. Es sind Bei-
spiele reiner Zustandsmalerei, Versuche eines jungen
Meisters die Natur als tonige Einheit zu begreifen
und sie in all ihrer beruhigenden Fülle zu erfassen.
Trübner selbst berichtet zwar**, dass er Verwundete
und Gefangene gemalt habe und als Schlachten-

* „Im Herbst des Lebens", München 1908, Verlag der
Süddeutschen Monatshefte.

** „Personalien und Prinzipien", Berlin 1908, Bruno
Gassirer Verlag.

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