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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Heft 7
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Rösler, Waldemar: Feldpostbriefe aus dem Westen, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0348

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WALDEMAR RÖSLER, SCHLAFENDER SOLDAT

blitzblanke Landsturmleute und lösten uns ab. Ja,
die Sonntage waren uns überhaupt nicht hold
in diesem Feldzuge. Der Kaiser war in diesen
Tagen in Lille; ich hoffte, er würde mal durch
mein Thor kommen, aber das führte nach Arras.
Von Slevogt hörte ich, er wäre auch durch L. ge-
kommen, mein Hauptmann hatte ihn getroffen.
Auf der Komandantur und auf der Zitadelle hatten
wir Geiseln, die zur bestimmten Stunde sich ein-
finden mussten. Ich entsinne mich noch des Bürger-
meisters und des Bischofs, der einen fabelhaften
grünen Stein an einem grossen Ring am Finger
hatte. — Tag ein Tag aus Kanonendonner und in
der Luft Flieger. Ein Auto kam nach der Wache,
ein Feldwebel brachte seinen toten Hauptmann in
eine Zeltbahn eingeschlagen. Wir marschierten
in nördlicher Richtung ab, wohin wusste man
nicht. Wir marschierten bis tief in die Nacht,
in irgendeiner Weberei in einer kleinen Stadt
machten wir halt. Überall an den Thüren las man:
Stab so und so. Es war hier das Quartier der

höheren Stäbe der vorne kämpfenden
Truppen.

Den nächsten Morgen weiter. Mit-
tags waren wir in der Linie unserer
Artillerie. Unterwegs viele Flieger, die
beschossen wurden, ein lustiger Anblick,
die vielen kleinen Wölkchen am blauen
Himmel. Wir marschierten noch etwas
weiter um Halt zu machen, aber am
Tage vorher hatten die Geschütze vor
uns gestanden und kaum waren wir beim
Kartoffelnschälen, da kam eine Granate
nach der anderen und wir mussten fort.
Der Feind war glänzend eingeschossen
auf den Bauernhof, auf dem wir lagen.
Jetzt sahen wir auch weisse Holzkreuze
auf einem aufgeworfenen Hügel in der
einen Hofecke vom Tage vorher. (Einer
Kompagnie hatten sie in den Kessel ge-
schossen).

Abends gings weiter nach Warneton
und in die Schützengräben, das heisst,
es mussten erst welche gemacht werden,
die Stellung wurde oft gewechselt in
den ersten Tagen immer am Fusse des
Klosterdorfes Messines, das erst eben

__^ erstürmt war zum so und so vielten Male

'- "'*• und das schauerlich schön in der Nacht
aussah. Die Namen Ferme, Bethlehem
und Messines, die sich so sanft anhören,
werde ich nie in meinem Leben vergessen. Die
acht Wochen Schützengraben, die wir dort ver-
lebten und in denen Messines so ziemlich von dem
täglichen feindlichen Granatfeuer zusammenge-
schossen wurde, sind uns allen unvergesslich. Was
der Mensch aushält, wenn er in Lebensgefahr
schwebt, das haben wir dort gesehen. Wer weiss, was
uns die nächste Zeit bringen wird, wie der Krieg sein
Ende finden wird; bis jetzt ist noch gar nichts zu
sehen. Jetzt sind es sechs Monate, vielleicht schreibe
ich nach weiteren sechs Monaten noch einmal so
einen langen Brief.

Brüssel, 9. 1.
Meine Kompagnie ist auf Gouvernementswache,
ich bin frei und ledig aller Pflicht und benutze
diesen schönen Frühlingstag um mal in das neue
Museum zu gehen und in den Bois de la Cambre.
Auf den Strassen werden Weidenkätzchen verkauft,
im Bois blühen schon Gänseblümchen und die

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